Aus dem Vorwort: Der vorliegende Band versammelt Beiträge einer internationalen Tagung ‘Deutsch im Kontakt der Kulturen. Schlesien und andere Vergleichsregionen’, die als eine Ver-anstaltung des germanistischen Instituts der Universität Opole im Rahmen der Institutspartnerschaft Opole und Würzburg vom 19. bis 22. April 2004 in Kamien Slaski stattfand.Die Themenstellung setzte zwei Akzente. Sie lud ein, die Funktion deutschsprachiger Kulturen frei von jeder kulturellen Egozentrik in einem europäischen Gesprächszusammenhang neu zu bestimmen, der aus dem weiten Spektrum germanistischer Arbeit in Forschung und Lehre nicht mehr wegzudenken ist. Und sie lud ein, das kulturelle Gesicht der Region Schlesien zu rekonstruieren, um der Region Anschlussmöglichkeiten für die Gestaltung von Zukunft zu eröffnen. Wenn man Opole in räumlicher Hinsicht aufsucht, befindet man sich in einem Gebiet, wo über Jahrhunderte hinweg Ethnien, Kulturen, Konfessionen Versuche ihres Neben- und Miteinanders ausgetragen haben. Der geschichtliche Verlauf des 20. Jahrhunderts brachte es mit sich, dass dieser Zusammenhang nur noch als historisches Konstrukt existiert.
Die Themenstellung verlangte nach interdisziplinärer Kooperation und einem ‘Gemeinschaftshandeln’ muttersprachlicher wie ausländischer Germanistiken. Und sie schloss – als wichtige Prämisse europäischer Vielfalt – kulturell verschiedene An- näherungsweisen, Gegenstandsbestimmungen und Erkenntnisinteressen ein, die im Gespräch zwischen litauischen, tschechischen, ungarischen, polnischen, französischen, deutschen, österreichischen und schweizer Kollegen auch produktiv zu Wort kommen sollten.Kulturenspezifische, aus historischen Blickwinkeln entstandene Beziehungen auf Deutsches bilden den Bezugsrahmen von sprachlichen, kulturellen und literarischen Untersuchungen, die historische Einstellungen auf nationaler und europäischer Ebene behandeln. Sie lenken den Blick auf institutionalisierte und sedimentierte (Selbst-) Beschreibungen deutscher Kultur, auf habituelle Perspektiven, auf die Kulturgebundenheit des Sehens, Rezipierens und Sprechens, auf die kulturelle Gebundenheit wissenschaftlicher Sicht- und Sprechweisen als interessanter Spezialfall, auf steuernde Vorgaben unseres kulturellen Gedächtnisses und damit auf Identitäten und mentale Haltungen. Wie sprachliche, kulturelle und ideologische Deutungen im regionalen Kontext aufeinander bezogen sind, diskutieren weitere Beiträge. Auch hier geht es um Kulturauseinandersetzung, und auch hier sind die Anknüpfungsmöglichkeiten zahlreich.
Kulturelle Kategorisierungen, Verhärtungen und gegenseitige Aufrechnungen, aber auch Versuche, in Zeiten ungesicherter Identitäten den Status von Gruppen durch Aufwertung von Sprache und Traditionsgut gegen andere Gruppen zu stellen, lassen sich durch Perspektivierung ebenso auflösen wie durch die Erkenntnis, dass Kulturen und Verstehensrahmen von Menschen hervorgebracht und konstruiert werden. Gerade in einer Zeit politischer Neugestaltung gewinnt das Fach Germanistik als Instrument historischer Erfahrung an Bedeutung, weil es die deutsche Sprache und Literatur als eine von vielen Möglichkeiten geistigen Verhaltens interpretiert. Möge diese Publikation dazu beitragen, einen Entwurf ‘Europa’ mitzugestalten, der im angestrebten Dialog erst ausgedeutet werden muss.