Der Historismus ist bereits seit langem ein ernst zu nehmendes Forschungsfeld der Kunstgeschichte geworden. Dies gilt für alle bildenden Künste einschließlich der Architektur. Dennoch existieren noch weiße Flecken, die nicht zuletzt aus der Quellenlage resultieren. Im Vordergrund des Forschungsinteresses für die Früh-und Hochphase des Historismus stehen die national bekannten Architekten wie Hübsch, Raschdorff, Schäfer, Schwechten, Ungewitter etc. Die Architekten der zweiten Reihe, die Rezipienten und Interpreten der Ideen der großen architektonischen Theoretiker und Vordenker, werden nur selten behandelt und bleiben zu oft im Hintergrund. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass über sie nur sporadisch Informationen überliefert sind. Diese Situation verbessert sich ein wenig für die ab ca. 1880 geborenen Architekten6. Für die Hochzeit des Historismus liegen jedoch nur sehr wenige Monographien über Architekten der zweiten Reihe vor, der Architekten also, die die Gebrauchsarchitektur der Oberschicht der Gründerzeit ausführten. Dies ist insofern bedauerlich, als gerade hier wertvolle Ansätze für das Verständnis der Rezeption historistischer Gedanken im Alltagsdenken eben dieser Oberschicht, der Auftraggeber dieser Architekten, zu gewinnen wären. Auch ließe sich hier die Basis für eine erheblich bessere Würdigung der noch oft überlieferten großbürgerlichen Bauten schaffen. Diese Bauten, obwohl sie aus ihrem lokalen architektonischen Umfeld herausragen, werden noch zu oft in ihrer architektonischen Bedeutung unterschätzt und selbst heute noch wirtschaftlichen Erwägungen geopfert. Vor diesem Hintergrund kann es als ausgesprochener Glücksfall betrachtet werden, mit den Tagebüchern Carl Wilhelm Schleichers eine Quelle erhalten zu haben, die einen intimen Einblick in die ästhetischen, aber auch gesellschaftspolitischen Vorstellungen nicht nur des Architekten, sondern auch seiner Auftraggeber erlauben.