Bildliche Darstellungen nehmen nicht nur in der Didaktik der Augenheilkunde und der ophthalmologischen Forschung, sondern in der Medizin insgesamt einen hohen Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund konzipierten die Herausgeber das Editionsprojekt eines der ersten stereoskopischen Atlanten, welcher unter der Leitung des Breslauer Medizinprofessors Albert Neisser sowie unter Beteiligung einer Vielzahl deutschsprachiger Augenärzte zwischen 1895 und 1906 publiziert wurde.
Die erstaunlichen 3D-Aufnahmen sind dabei nicht nur von großem Wert für die heutige medizinische Ausbildung. Vielmehr gestatten sie eine Art virtuellen Besuch in den Augenkliniken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zum Fin de Siècle und lassen die Umstände der klinischen Behandlungssituation der damaligen Zeit recht drastisch erfahrbar werden. In dieser Eigenschaft stellen die präsentierten Stereofotografien von Patientinnen und Patienten auch eine interessante medizinhistorische Quelle für den soziokulturellen Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar und ermöglichen Einblicke in Wahrnehmungs- und Umgangsformen zeitgenössischer Ärzte gegenüber ihrer medizinischen Clientèle. Die Betrachtung der Stereofotografien trägt deshalb mit dazu bei, die zeitgenössische Ikonografie der klinischen Abbildung sowie der theoretischen Augenpathologie um 1900 erneut präsent werden zu lassen.
Dem wieder abgedruckten Atlas ist eine historische Einleitung vorangestellt, die in relevante Entwicklungsstufen der Fotografiegeschichte sowie der Sozial- und Kulturgeschichte der medizinischen Abbildung einführt. Zugleich wird der medizinhistorische Kontext im Erscheinungszeitraum des Atlasses beschrieben, und die beteiligten Autoren finden eine individuelle biografische Einordnung.