Kein Mensch lebt heute in einem Land unter Menschen mit nur einer Kultur und Religion. Also sind wir alle gefordert, das Fremde, den anderen Menschen mit seinem Glauben und seinen Sitten wahrzunehmen und zu tolerieren. Niemand kann heute noch den Anspruch erheben, daß seine eigene Kultur, seine Religion die einzig wahre sei. „Sorgfältig muß die Selbsterziehung darüber wachen, daß nichts mehr in der Seele sitzt, was der einen Religion den Vorzug geben könnte vor der anderen.“ (Rudolf Steiner, GA 138/1959/26.08.1912/S.36)-
Aber - wie ist die Realität derzeit? Brennende dänische Fahnen, aufgeputschte Volksmassen, Beleidigung einer Religion durch Karikaturen, Folter und ein völkerrechtswidriger Krieg im Namen der Demokratie, Staatsterror hier, terroristische Anschläge dort, Messerstechereien an Berliner Hauptschulen, Gewalt gegenüber Ausländern in vielen Gegenden Deutschlands - ist das die Welt, die wir uns wünschen? Sieht so eine Welt aus, in der wir einander mit Respekt und Toleranz begegnen?-
Weltweit, in unserem Land, in unserer Nachbarschaft und vielleicht sogar in uns selbst droht die Stimmung derzeit zu kippen. Vorurteile, unreflektierte Meinungsbilder - oft von den Medien vereinseitigt - schieben sich in unsere Vorstellungen und trüben den unvoreingenommenen Blick auf den anderen Menschen, die andere Kultur, die andere Religion.-
Die meisten glauben - um mit Lessings „Nathan der Weise“ zu sprechen -, daß sie den wahren Ring besitzen, dem die Kraft innewohnt, beliebt zu machen; aber - siehe da - „jeder liebt sich selber nur am meisten“ und erkennt nicht mehr, daß die eigene Religion und die eigene Kultur keineswegs höhergestellt sind als die anderen.-
Wir möchten deshalb mit diesem Buch einen Beitrag zum Kulturdialog leisten.-
Wiederum haben wir viele Fachleute befragt, die über die Hintergründe des Karikaturenstreits und des weltweiten Terrorismus berichten, über die gegenseitigen Vorurteile im Westen und in islamischen Ländern und über den politischen Islam. Wir werfen einen Blick auf die muslimische Welt, vor allem auf die Situation der Beduinen auf dem Sinai; und wir schauen auf Berlin, speziell auf die Integrationsprobleme in Stadtteilen wie Neukölln und auf den Widerstand gegen den Bau einer Moschee in Pankow. Außerdem beleuchten wir die Familienstrukturen konservativer kurdischer und türkischer Familien und die daraus entstehenden Integrationsprobleme der Migranten. Ferner berichten wir von einer Reise zu den Tuareg nach Niger.-
„So wenig wie jemand, der eine Pflanze betrachtet und der Blüte den Vorzug vor der Wurzel gibt, sich ein objektives Urteil über den ganzen Bau der Pflanze schaffen kann, so wenig kann derjenige ein richtiges Urteil gewinnen, der die Religionen nicht in völlig gleicher Unbefangenheit betrachten kann.“ (Steiner, ebd.)