Süskinds Weltbestseller – er wurde eindeutig und in summa falsch gelesen. Der von einem angeblich ‚allwissenden’ Erzähler in diesem Roman in üblen Formen verführte und manipulierte Leser soll hier zu einer kritischen Lesart dieses Kunstwerks ge- und verführt werden, die der Ironie in diesem Roman Rechnung trägt und einen anders begründeten Anschluss an die Postmoderne, die erzählerische Moderne und an literarische Traditionen stiftet. Die Erzählerposition wird dabei in all ihren Konstrukten in Frage gestellt: Hinter der Botschaft eines Inquisitor und Faschisten, der heimlich rät, den ‚Ruchlosen zu töten’, entsteht wieder das „Écrasez l’infâme“ der Literatur. ‚Die Geschichte eines Mörders’ wird von einem Mörder erzählt. Hinter Umwertungen der vom Erzähler diffamierten oder geschönten Figuren, einer Korrektur seiner Lügen und Verzerrungen, die mit den Anachronismen arbeiten, die sich beim modernen Leser in der Rückschau auf dieses 18. Jahrhundert einstellen, entsteht ein spannendes Bild des weitgehend blind auf die Revolution zusteuernden Frankreichs im 18. Jahrhundert. Schon die angebliche Kindsmörderin ist unschuldig; die infamen und tausendfachen Kindsmörder gibt es dagegen auf Seiten derer, die sie verurteilen. Süskind legt hier einen Jahrhundertvergleich nahe, eine zeitgenössische Lesart des Romans. Steuern wir ähnlich unmenschlich, ähnlich blind und in ähnlichen Formen verführt auf unsere Revolution zu, auf eine Zerstörung des Menschen durch den Menschen?