Über die Emotionalisierung der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert besteht seit langem Konsens. Jedoch gründet sich dieser Befund bislang in erster Linie auf die poetologische Selbstbeschreibung der Zeitgenossen. An den literarischen Texten selbst wurde die Emotionalisierungstendenz noch nicht systematisch nachgewiesen. Das liegt vor allem daran, daß die derzeitige Literaturwissenschaft über kein geeignetes Instrumentarium zur objektiven Beschreibung emotionaler Textwirkungen verfügt. Ausgehend von Emotionstheorien aus Evolutionärer Psychologie und der Verhaltensforschung entwickelt die vorliegende Studie deshalb ein neues literaturpsychologisches Beschreibungssystem, das emotionale Wirkungen literarischer Texte plausibel zu rekonstruieren und mit hergebrachten Verfahren der Textanalyse in Beziehung zu Setzen vermag. Der historische Teil der Studie beginnt mit der ›Nebenstundenpoesie‹ der Frühaufklärung und des Rokoko. An den Gedichten Brockes', Hallers, Hagedorns, Gleims und anderer werden poetische Innovationen herausgearbeitet, die die Grundlage für die emotionalisierte Dichtung der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang bilden. So werden die Erfindung der Perspektive, die Neuentdeckung des Erhabenen und die Witzkultur der Frühaufklärung emotionspsychologisch reformuliert und in ihrer Bedeutung für die Herausbildung der dichterischen Erlebniskonvention, für die neue Rezeptionshaltung gegenüber einem Buch als einem ›Freund‹ und für das spezifisch moderne Verhältnis von Ernst und Scherz in der Dichtung beleuchtet. Nachgezeichnet wird schließlich, wie die zunächst vor allem an lyrischen Texten beobachtbaren Textstrategien auf andere Gattungen übergreifen und den Prototyp moderner Dichtung schlechthin ausbilden.