Die Historikerin Astrid Luise Mannes, die 1999 die erste Gesamtbiographie über den Reichskanzler Heinrich Brüning veröffentlichte, schließt mit der Biographie über den Reichskanzler Konstantin Fehrenbach (1852-1926) eine große Forschungslücke. Ist mittlerweile fast jede führende politische Persönlichkeit der Weimarer Republik intensiv erforscht worden, so fehlte bislang doch ein Lebensbild des Reichskanzlers Fehrenbach. Daß der badische Politiker nicht nur im Bewußtsein der Bevölkerung in Vergessenheit, sondern auch aus dem Blickfeld der Forschung geriet, ist insofern erstaunlich, als Fehrenbach durch seine Ämter als letzter Präsident des kaiserlichen Reichstags, als Vorsitzender der Verfassunggebenden Nationalversammlung und als Reichskanzler 1920/21 zu den höchsten Repräsentanten des Reiches in seiner Zeit gehörte. Allein die Fülle dieser wichtigen Schlüsselpositionen wirft die Frage nach Fehrenbachs historischem Stellenwert auf.

Mannes, die diese Biographie als Dissertation an der Universität Dortmund vorlegte, unterzog sich der jahrelangen Mühe, in vielen Archiven und zeitgenössischen Nachlässen nach Quellen und Aufzeichnungen zu suchen, um das Leben Fehrenbachs zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Auch wenn auf Grund der Quellenlage nicht jede Wirkungsphase des Politikers bis ins letzte Detail nachvollzogen werden kann, so ist der Historikerin dennoch gelungen, dem Leser ein recht geschlossenes Lebensbild des Zentrumspolitikers zu präsentieren. Fehrenbach darf sowohl in seinem Werdegang als auch in seinem Denken und Handeln als typischer Vertreter des politischen Katholizismus gelten. 1852 wurde er in einem Schwarzwalddorf geboren, Er studierte in Freiburg Jura - zur Zeit des Kulturkampfes - und ließ sich anschließend dort mit einer Rechtsanwaltskanzlei nieder. Schnell erwarb er sich über die Stadtgrenzen hinaus den Ruf als überragender Strafverteidiger. Auf Grund seiner gesellschaftlichen Stellung wurden ihm eine Reihe von Ämtern in Freiburg angeboten, die er aus Neigung zur Repräsentation gerne annahm. Über die Kommunalpolitik gelangte er dann 1885 in den badischen Landtag. 1903 zog er für die Zentrumspartei in den Reichstag ein. Bald gehörte er zur Führungsgruppe der Zentrumsfraktion im Reichstag. Als gemäßigter und fortschrittlicher Politiker, der sich für die Parlamentarisierung einsetzte, fand er über die Parteigrenzen hinweg große Anerkennung und wurde zum Ende des Kaiserreichs hin mehrfach als Kanzlerkandidat gehandelt. Die Rolle als Reichstagspräsident 1918 war ihm wie auf den Leib geschnitten. Gerade in den stürmischen Auseinandersetzungen der letzten Kriegsphase bedurfte es in diesem Amte eines Mannes des Ausgleichs, der von allen Parteien anerkannt wurde und die Einheit der Volksvertretung nach außen wahren konnte. Gleiches gilt für seine Präsidentschaft in der Verfassunggebenden Nationalversammlung.

Auch wenn seine Politik als Reichskanzler 1920/21 im Ergebnis nicht erfolgreich war – vor dem Diktat des Londoner Ultimatums kapitulierte er -, so relativiert die Autorin diesen Negativeindruck insofern, als sie aufzeigt, wie eng seine Handlungsspielräume durch internationales Vertragswerk und das Verhalten der Siegermächte des Ersten Weltkrieges waren. Sie beleuchtet die instabilen Machtverhältnisse im Reich und das erdrückende Erbe des verlorenen Weltkrieges und untergegangenen Kaiserreiches. Insgesamt zeichnet Mannes das Bild eines gemäßigten und menschlich integeren, allerdings auch führungsschwachen Politikers, der in Zeiten zunehmender Radikalisierung wie kaum ein anderer Zentrumsvertreter für die Demokratie und gegen den Antisemitismus sowie völkische Tendenzen eintrat. Im Kaiserreich hat sich Fehrenbach wie kaum ein anderer Politiker Verdienste um die Gleichberechtigung der Katholiken erworben und zur Überwindung des Mißverhältnisses zwischen Katholizismus und Bildung beigetragen. Mannes mißt seine Leistungen nicht nur an der Kanzlerzeit, sondern nimmt sein gesamtes politisches Wirken ins Visier und zeichnet so das Bild einer durchaus interessanten und erfolgreichen Persönlichkeit, deren Würdigung in Form einer Biographie längst überfällig war.