Um 1900 loten wissenschaftliche wie literarische Texte eine intensive epochale Erfahrung aus: jene des Sich-Fremd- und Ungewiss-Werdens. Sie sprechen so dem Basistheorem einer bürgerlichen Anthropologie hohn, der die Selbstbestimmung des Subjekts als oberster Wert gilt. Die vorliegende Studie unternimmt Streifzüge durch psychiatrische, sexualwissen¬schaftliche und psychoanalytische Diskurse und bettet die paradigmatischen Texte der Zeit – Hofmannsthals Märchen der 672. Nacht, den Chandos-Brief, Andrians Garten der Erkenntnis, Schnitzlers Fräulein Else, Kafkas Strafkolonie – in den ‚Interferenzraum‘ von wissenschaftlicher und litera¬rischer Narration ein. Im Schreiben über gerade jene Ikonen-Texte der Litera¬turwissenschaft nimmt die Autorin die Herausforderung an, eine „Umbesetzung“ ihrer traditionellen Gegenstände vorzunehmen, und legt im Versuch, die imaginäre Spur des Traumas nachzuzeichnen und zu objektivieren, eine interne Bedeutungsstruktur der Texte als psychisches Beziehungs¬gefüge frei, das sich im Konfliktterrain zwischen Wunsch und Abwehr ästhetisch austariert und sein labiles Gleichgewicht findet. Die Poetologie dieses Wissens um das (unbewusste) Begehren und seine Abwehr ruht zwar nicht auf ‚Wahrheit‘ auf und lässt sich nicht auf eine Serie von Referenzakten reduzieren, spricht aber von den Bedingungen, unter denen sich Begehren und Abwehr historisch artikulieren.