Im ersten Teil der MASSE DER BÜCHER wird Elias Canettis Poetik der Masse rekonstruiert. Für Canetti geht es immer um Leben oder Tod. Der Tod ist sein größter Feind, und ihm kann man nur entrinnen, indem man sich permanent verwandelt. Das heißt, über je mehr Identitäten man verfügt, desto ferner ist man dem Tod. Der Ort, an dem diese Identitäten versammelt sind, ist die Masse. Das macht sie zu Canettis Utopie.
Er verräumlicht psychische Vorgänge und faßt umgekehrt körperliche Prozesse psychisch auf. Es gibt folglich nicht nur eine äußere Masse, sondern auch eine innere, psychische: die 'Masse in uns', wie es in der BLENDUNG heißt. Dem entsprechend ist der Mensch ein metaphorisch aufgefaßter Schizophrener, und aus je mehr Identitäten er besteht, desto besser kann er den Tod abwehren. Der von außen sichtbare Mensch stellt also nur die Hülle jener 'Masse in uns' dar. Aufgabe des Dichters ist es, mittels der Literatur diese innere Masse zu vergrößern und so das Lebenspotential des Lesers zu steigern.
Was für den Menschen gilt, gilt strukturell auch für Canettis Figuren: Auch in ihnen sind andere Figuren versammelt, auch sie haben eine Masse in sich, bestehend aus den Figuren der Weltliteratur. Diese Konzeption seiner Figuren legt Canetti in dem Alptraum des Protagonisten der BLENDUNG offen: 'Da zückt der rechte Jaguar einen Steinkeil und stößt ihn dem Opfer' – also Kien – 'mitten ins Herz. [.] Entsetzlich: aus der aufgerissenen Brust springt ein Buch hervor [.] Das Opfer reißt die Brust weit, weit auseinander. Bücher, Bücher kollern hervor. Dutzende, hunderte, sie sind nicht zu zählen [.]'. Kien besteht also aus einer – Masse – von Büchern; sie machen das 'Herz' von Canettis Figuren aus.
Mit diesen Büchern und ihrer Funktion beschäftigt sich der zweite Teil der Studie: die inter- oder hypertextuelle Lektüre der BLENDUNG und Canettis Poetik.

Einige der behandelten Autoren und Stoffe: Platon, Rousseau, Hobbes, King Kong, Sophokles, die Bibliothek von Alexandria, Freud, Dante, Aristoteles, Giordano Bruno, Don Giovanni und der Steinerne Gast, der Totentanz, die Himmelsleiter, der Ur-Adam, Bergson und die Lebensphilosophie, der Salomonische Tempel und der Hohepriester, Shi Hoang Ti, die Chinesische Mauer und chinesische Begräbnisriten, der Erste Weltkrieg und der Volkskörper, Pinel, die Französische Revolution, Dionysos und die Frühromantik.