Nach den umwälzenden Ereignissen in Ost-Deutschland im Herbst 1989 und der Wiedervereinigung steht für Christa Wolf Anfang der neunziger Jahre erneut eine Figur aus der griechischen Mythologie im Zentrum ihres literarischen Schaffens. War es gut zehn Jahre zuvor Kassandra, so ist es jetzt Medea, die sie anregt, sich auf die Suche nach alternativen Gesellschaftsformen in die Vergangenheit zu begeben. Das vorliegende Buch widmet sich diesen beiden Mythenadaptionen unter dem Aspekt des systematischen Vergleichs der darin ausgearbeiteten Utopieentwürfe. Es wird die Frage nach den inhaltlichen Unterschieden in Darstellung und Beurteilung der Entwürfe aufgeworfen, nach Unterschieden, die der Leser von Werken, welche als reflektierende Reaktion auf gesellschaftlich und politisch gänzlich andersartige Verhältnisse entstanden, in großem Umfang zu finden erwartet. Macht sich, so die sich aufdrängende Frage, in Medea im Gegensatz zu Kassandra ein Utopieverlust bemerkbar?