Der hier vorgelegte Sammelband ist aus einer internationalen Tagung hervorgegangen, die vom 15. bis 17. September 2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main stattgefunden hat.
Dabei ging es um ein Unternehmen, das nur als riskant bezeichnet werden kann. Denn sein Ziel bestand darin, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den höchst unterschiedlichen Fachkulturen in ein Gespräch zu ziehen, für die Fallstudien ein Thema sind. Und da treffen – das zeigt die bloße Nennung – Welten aufeinander: In der Rechtsprechung und Medizin haben Fallsammlungen eine lange Tradition. Moralphilosophie und Theologie pflegten ein Denken in Fällen, das für Lehre und Predigt raffinierte Fallbeispiele hervorbrachte. Fabel und Schwank, Anekdote und Geschichtsschreibung gehören zu den ältesten Erzählformen; dadurch haben die Literatur- und Historiographiehistorie wie die Erzählforschung mit Fallgeschichten zu tun. Ethnologie, Soziologie und Psychoanalyse zählen Fallstudien zu ihren Gründungsurkunden. Von der Wissenschaftstheorie werden sie heute wie vordem von Rhetorik und Ästhetik reflektiert.
Bei der grundlegenden Bedeutung, die Fallstudien für die genannten Disziplinen haben, erstaunt, wie wenig Versuche es gibt, allgemein – und das heißt auch: fachübergreifend – zu bestimmen, was Fallstudien eigentlich sind, welchen Regeln sie gehorchen und was sie zu leisten vermögen. Als ein Vorstoß in diese Richtung ist der vorliegende Band zu verstehen.
Es ist nicht zu übersehen, daß zahlreiche Einwände gegen die Fallstudie vorgebracht werden: sie sei als Aussageform zu holistisch, als Erhebungsmethode zu subjektiv, als Deutung zu unbegrifflich, als Theoriebildung zu beschränkt in ihrem Geltungsbereich.
Die Konferenz unternahm den Versuch, die Grenzen dafür zu bestimmen, was als wissenschaftlich anerkannt oder als unwissenschaftlich ausgeschieden wird. Für die Theoriebildung über die Fallstudie ergibt sich daraus ein streng wissenschaftstheoretisches, auch normatives Interesse: Sind Fallstudien – was dann durch ihre Theorie darzutun wäre – prinzipiell vorwissenschaftlich? Oder wie könnte eine Theorie von Fallstudien aussehen, die als noch-wissenschaftlich passieren dürften?
Der Konferenzband dürfte zahlreiche Anregungen für den weiteren Diskurs zu diesem Thema beisteuern.