Bei Genet lässt sich eine Sprache der Liebe feststellen, die sich jenseits des sexuellen Verlangens äußert. Liebe wird emblematisch durch eine mütterliche Position beschrieben, die aus der christlichen Tradition vertraut ist. Die in Genets Romanen auftretenden Männer erinnern an bekannte Bildnisse der Heiligen Gottesmutter, insbesondere an Darstellungen der Mater Dolorosa. Unbestritten entwerfen die Romane männliche Protagonisten in einer Eindringlichkeit, der man sich nur schwer entziehen kann. Doch betrachtet man sie genauer, weisen sie weibliche, ja mütterliche Qualitäten auf, die den ersten Eindruck als Illusion anzeigen und eine neue Lesart empfehlen. Dadurch dass in „Das Lied der Liebe bei Jean Genet“ erstmals Liebe nicht sexuell begriffen wird, entsteht eine neuartige Lektüre dieses Autors, die von Roland Barthes’ inspiriert ist. In Verbindung mit dieser anderen Wertung des Liebesdiskurses stellt der Band Bezüge zur christlichen Ikonographie in den Mittelpunkt.