In der vorliegenden Arbeit wird Kafkas Annäherungsweise zur Wahrheit bzw. sein Wahrheitsbegriff geklärt, indem das organische Verhältnis zwischen der möglichen Wahrheit des überlieferten Mythos und der unmöglichen Wahrheit des von Kafka revidierten Mythos untersucht wird. Kafka löst nicht nur den alten Mythos auf, sondern vermeidet auch den neuen Mythos erkenntnisgewisser Aufklärung. Antike und Moderne, Mythos und Aufklärung scheitern hier gleichermaßen. Aber gleichzeitig führt Kafkas Mythos zu einer neuen Ebene der Reflexion, auf welche die Dekonstruktion die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsagbaren ständig verschiebt. Was in Kafkas Mythos übrig bleibt, ist nichts anderes als der Prozess dieses kritischen Denkens an sich. Kafka beurteilt durch die Entmythologisierung und Problematisierung des Mythos nicht den Wert des Mythos, sondern er will dadurch die Geschichte der Menschheit reflektieren und den Horizont des Denkens, das bisher von der menschlichen Vernunft unterdrückt wurde, befreien und erweitern.