"Wie haben wir uns hinzugeben und doch das Individuum zu bewahren?" fragt Jeremias Gotthelf zwei Jahre vor Erscheinen seiner Novelle ,Die schwarze Spinne'. Die vorliegende Studie geht dieser Frage nach, indem sie literarische Selbstopferdarstellungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart untersucht. Sie zeigt am Beispiel von Gryphius' ,Catharina von Georgien', Lessings ,Pilotas', Gotthelfs ,Die schwarze Spinne', Storms ,Der Schimmelreiter', Kaisers ,Die Bürger von Calais' und Schnitzlers ,Traumnovelle', daß das Potential einer Literatur, die Selbstopfer darstellt, darin liegt, die unterschiedlichen Spannungsverhältnisse, in denen sich das Individuum befindet, zu gestalten und zu kommentieren: erstens das Verhätlnis zu sich selbst, zweitens zu der Gemeinschaft, auf die es sich bezieht, und drittens zu den Mächten und Gewalten, die es selbst als autonomes Subjekt begrenzen und übersteigen. Während die aktuelle interdisziplinäre Diskussion das Opfer vornehmlich als gesellschaftliches Phänomen im Zusammenhang von Macht, Unterdrückung und Gewalt begreift, wird das Selbstopfer in dieser Untersuch als kultureller Handlungstyp gedeutet,der einerseits Krisensituationen zu lösen und Gemeinschaften zu (re-)konstituieren vermag, andererseits aber auch eine ungewöhnliche Form der Selbstinszenierung darstellt, die mit dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und Unsterblichkeit verbunden ist.