Seit J.J. Bachofen seine Entdeckung eines vorgeblich ursprünglichen, universalen Mutterrechts im Jahre 1861 in der
Schweiz in einem voluminösen, schwer verständlichen Buch
an die Öffentlichkeit gebracht hatte, fand dieser von ihm neu
geschaffene Mythos bei zahlreichen, denkbar gegensätzlichen
Lesern Aufmerksamkeit (von F. Engels bis zum nationalsozialistischen Philosophen A. Bäumler). Im München der (vor-)letzten Jahrhundertwende führte die affirmative ‚Wiederentdeckung’ von Bachofens Mutterrechtsmythos durch die Kosmiker zum Gegenentwurf eines aus antiken Versatzstücken ‚zusammengebastelten’ Männer- und Herrschaftsmythos, der sich im späteren Werk des nationalen Dichtersehers Stefan George zu
einer griechisch-germanischen Mythensynthese im Zeichen des
Männerbundes verfestigte. Daß auf verschlungenen Rezeptionswegen die konträre Mythenkon-stellation von Mutter- und Herrschaftsmythos bis in die ‚Dialektik der Aufklärung’ (1947)
Horkheimers/Adornos gelangte, wo im Odyssee-Kapitel der
männlich-patriarchale Heros die weiblichen Mächte (Kirke,
Sirenen) immer wieder überwindet, zeigt die bis heute weiterwirkende Faszination dieser ‚urtümlichen’ Mythen – und das
nicht nur für den philosophischen Diskurs; denn auch in der
feministischen Literatur der letzten Jahrzehnte wird Bachofen als wissenschaftliche Autorität gehandelt.