Dichtung als Medium der Erkenntnis: Karin Herrmann revidiert bisherige Urteile über den Büchnerpreisträger Ernst Meister.

Der Büchnerpreisträger Ernst Meister (1911-1979) gilt als einer der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts. Seine späten Gedichte streben auf ein Äußerstes zu: auf die »Vervollständigung der ästhetischen Sicht«. Im Zuge einer radikalen Infragestellung der Möglichkeitsbedingungen lyrischen Sprechens schlechthin - »wozu »ich«?« - schreiben sie sich an die Grenzen ihrer selbst und reflektieren den Zusammenhang zwischen Sterben, Sprachverlust und Vergessen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Akt des Erinnerns, der durch die Vielzahl von Bezugnahmen auf die literarische und philosophische Tradition vollzogen wird, besondere Bedeutung zu: Die »Aneignung des Fremden« (Hölderlin) dient sowohl der Pflege des kulturellen Gedächtnisses als auch der Selbstvergewisserung des modernen Menschen nach dem »Tod Gottes« (Nietzsche), wobei die conditio humana immer auch als conditio poetica verstanden wird.
Auf der Basis zahlreicher Einzelanalysen der späten Gedichte macht Karin Herrmann die Entwicklungslogik des Werks sichtbar und eröffnet eine neue Perspektive auf Ernst Meister.