Armer Mörike. Ja, armer Mörike.
Aber nicht weil seine Dichtung so erbärmlich wäre, sondern weil es den Deutern nicht gelingen mag, seiner Dichtung ihren höchst eigenen und tiefen überpersönlichen Sinn und Inhalt, ihre poetische Besonderheit abzugewinnen.
So stanzen sie sich in ihrer Not, zu keinen vernünftigen Ergebnissen zu kommen, ein präjudiziertes Dichterbild aus seiner Dichtung zurecht, die vermeintlich um ihn selbst, seine defizitären privat-persönlichen Momente kreise: Mörike sei ein Goethe-Epigone, der sich als minderwertig empfinde, seine psychischen Mängel dichterisch therapiere, weltfremd, sozio-politisch desinteressiert und, weil ohne große eigene Idee, oberflächlich, von nur mäßiger dichterischer „Leistung“ – kurzum: Er ist offenbar die Karikatur des Klischees vollkommener Biedermeierlichkeit.
Und da ist er denn nun – endlich: Der arme Poet!
Indes entwickelt Mörikes Lyrik eine außergewöhnliche Anschauung: Das Schöne hat einen Sinn. Es ist eine Information, die Offenbarung des schöpferischen Prinzips des Seins in den Dingen. Und Mörike malt dies in sinnlichen Kunst- und Natur-Bildern, die, um „begriffen“ zu werden, zunächst erfahren werden müssen, sinnlicher Rezeption, sinnlichen Kunsterlebens bedürfen: der Phantasie, der Nachempfindung und der zutiefst persönlichen Einlassung.
Solche mystische Kunst besteht auf der Differenz zwischen Philosophie und Kunst, will sich nicht verkopft und aus rationaler Distanz verstehen lassen, ist wesentlich anderes, mehr als rückübersetzbare Übersetzung logischer Komplexe in Bilder.