Sensualismus-Spiritualismus, Hellenen-Nazarener, Geist-Materie etc. Heinrich Heines Werk wird nach wie vor auf ein dominantes Denkmuster zurückgeführt: auf ein Denken in Gegensätzen. Maximilian Kusch stellt diese Annahme erstmals grundsätzlich in Frage. Anstatt das Gesamtwerk weiterhin auf Entzweiungs- und/oder Versöhnungsoptionen festzulegen, zeigt er, dass sich Heine bereits ab den 1830er Jahren zunehmend kritisch mit der dualistischen Denktradition und ihren im Wortsinne nicht mehr Zeit-adäquaten Ordnungsversprechen auseinandersetzt
Denn spätestens seit dem 18. Jahrhundert hängt die Geschichte dualistischer Denkmodelle mit der Ausbildung eines linearen Zeit-Bewusstseins zusammen, das Kontinuitätserwartungen absichern soll, aber durch die raumzeitlichen Wahrnehmungsveränderungen um 1830 (Technik, Großstadt, Medien) grundsätzlich problematisch wird. Heines Ablösungsprozess von der dualistischen Denktradition führt bis ins Spätwerk hinein zu einer Ästhetik der Vorläufigkeit, die um die Erfahrbarkeit des flüchtigen Augenblicks und der fragilen Tageswahrheit kreist. Diese Ästhetik bricht zugleich mit der binären Codierungstradition jener Moderne, die sich über das Zeit-Bewusstsein der Modernität und das Sinnversprechen der Zukunft definiert.