Die steigenden Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und den spezifischen Treibstoffverbrauch von Gasturbinen und Flugtriebwerken lassen sich thermodynamisch durch eine Erhöhung der Turbineneintrittstemperatur und des Druckverhältnisses erreichen. Für weitere Fortschritte sind hier deutliche Effizienzverbesserungen der Komponentenkühlung, die auf der Kühlluftversorgung aus dem Sekundärluftsystem basiert, essentiell. Die zur Auslegung des Sekundärluftsystems verwendeten Netzwerklöser mit den darin implementierten Modellen zur Berechnung der Einzelkomponenten werden daher von den Gasturbinenherstellern mit großem Aufwand weiterentwickelt. Zusätzlich werden zur Detailauslegung einzelner Bauteile häufig numerische Strömungssimulationen verwendet.
Eine wesentliche Komponente des Sekundärluftsystems sind Dichtungen, die in thermischen Turbomaschinen vorwiegend als Labyrinthdichtungen ausgeführt sind und deren Verhalten starken Einfluss auf die Effizienz des gesamten Sekundärluftsystems hat. Daher müssen die zur Auslegung und Optimierung verwendeten analytischen Berechnungsansätze sowie Modelle für Strömungssimulationen eine exakte Bestimmung des Durchflussverhaltens, des Wärmehaushalts (Wärmeübergang und reibungsbedingte Totaltemperaturänderung) und des Verlaufs der Umfangsgeschwindigkeit (Drallverlauf) gewährleisten. Über die reibungsbedingte Totaltemperaturänderung und den Drallverlauf in Labyrinthdichtungen ist bisher nur wenig bekannt. Die Ergebnisse der vorliegende Arbeit tragen dazu bei, die Kenntnis über die wechselseitigen Zusammenhänge von reibungsbedingter Totaltemperaturänderung, Drallverlauf und Durchflussverhalten in Labyrinthdichtungen zu erweitern und für die Anwendung im Turbomaschinenbau nutzbar zu machen. Hierzu gehören neben den Gasturbinen auch Dampfturbinen, Turbolader oder das Reibmoment von Labyrinthdichtungen in Francis-Turbinen.
In dieser Arbeit wurden - gestützt auf Experimente - analytische und numerische Berechnungsverfahren zur Beschreibung von Labyrinthdichtungen angewendet und entwickelt. Es wurde ein spezieller Versuchsstand konstruiert, bei dem die Umfangsgeschwindigkeit am Eintritt der Labyrinthdichtung gemessen und variabel eingestellt werden konnte. Zum Schutz der Labyrinthspitzen werden am Stator häufig Anstreifbeläge aus Honigwabenstrukturen angebracht. Daher wurde in dieser Arbeit, neben dem Referenzfall einer glatten Statoroberfläche, der Einfluss der Rauigkeit von Honigwabenanstreifbelägen auf die Totaltemperaturänderung, den Drallverlauf und das Durchflussverhalten untersucht. Als Messtechnik wurden für die Totaltemperaturänderung drehbare Sonden und für das Strömungsfeld in den Labyrinthkammern die Laser-Doppler Anemometrie verwendet.
In der Literatur existierte kein validierter Satz dimensionsloser Kennzahlen zur Beschreibung der reibungsbedingten Totaltemperaturänderung und des Drallverlaufs in Labyrinthdichtungen. Dimensionslose Kennzahlen sind jedoch erforderlich, um die Versuchsergebnisse von Labor- auf typische Triebwerksbedingungen zu übertragen. Daher wurde zur Planung der Versuche und des Prüfstands wurde eine Dimensionsanalyse durchgeführt. Durch die Anwendung der Dimensionsanalyse konnte die Zahl der Einflussgrößen von fünfzehn dimensionsbehafteten auf sechs unabhängige dimensionslose Kenngrößen reduziert werden, was den experimentellen Aufwand deutlich verringert. Zur einfachen Anwendung bei der Versuchsplanung wurden in dieser Arbeit Skalierungsvorschriften aus den dimensionslosen Kennzahlen für das Durchflussverhalten, den Drallverlauf und die Totaltemperaturänderung formuliert.
Um die Wechselbeziehungen der Einflussgrößen zu verdeutlichen, eignen sich insbesondere integrale analytische Berechnungsansätze, deren formelmäßige Zusammenhänge die physikalischen Abhängigkeiten direkt wiedergeben. Solche Ansätze wurden deshalb für den Drallverlauf und die Totaltemperaturänderung entwickelt und anhand der Ergebnisse der Experimente und Strömungssimulationen dieser Arbeit diskutiert. Außer für die schnelle Abschätzung von Größenordnungen ist die Genauigkeit der integralen Berechnungsansätze für die Auslegung des Sekundärluftsystems jedoch ohne eine Parameteranpassung nicht ausreichend. Aus diesen Gründen werden zunehmend sogenannte Bulk-Flow Modelle verwendet, die wegen der detaillierteren Abbildung der Physik bei der Berechnung von Kammer zu Kammer zu genaueren Ergebnissen für die Totaltemperaturänderung und den Drallverlauf führen. Zur Modellierung der reibungsbedingten Totaltemperaturänderung und des Drallverlaufs werden in Bulk-Flow Modellen die Wandschubspannungen mit einfachen Reibungsansätzen berechnet. Bei Verwendung des neuen Bulk-Flow Modells für das Durchflussverhalten sind die mittleren Zustandsgrößen in jeder Labyrinthkammer sehr genau berechenbar und eine gekoppelte Modellierung der reibungsbedingten Totaltemperaturänderung und des Drallverlaufs ist mit bisher nicht erreichter Präzision möglich, was durch einen Vergleich mit den experimentellen Ergebnissen und Strömungssimulationen dieser Arbeit gezeigt wurde