Im Unterschied zu den beiden Klassikern der deutschen Literatur verschärft Hölderlin seine Dichtung im Rhythmischen. So wurde die metrisch fixierte Elegie 'Der Wanderer' erstmals in den Horen abgedruckt – aber rhythmisch von Schiller auf Anraten Goethes 'korrigiert'. Die später nochmals publizierte Fassung zeigt, daß Hölderlin die metrische Form nicht einfach als Behälter des dichterischen Ausdrucks ansieht, sondern auf dessen Eigenheiten insistiert. Er nutzt den Variantenreichtum antiker Vorlagen mit Sorgfalt und setzt gezielt Differenzen zwischen vorgegebenem Metrum und sprachlichem Rhythmus ein, um das Gedicht selbst zum Gegenstand des Beschriebenen werden zu lassen.
Die rhythmisch-metrische Differenz ist der Ausgangspunkt dieses Buchs. Im Zentrum steht die Frage, wie Hölderlin zum freien Rhythmus in seinen Gesängen findet und wie dieser rhythmische Mehrwert hermeneutisch erfaßt werden kann. Nach exemplarischen Analysen von Übergangsformen (Oden, Chorübersetzungen, ›Nachtgesänge‹), konzentriert sich Previsic auf alle großen Gesänge, die in (nahezu) abgeschlossener Gestalt überliefert sind: 'Die Wanderung', 'Germanien', 'Der Rhein', 'Friedensfeier', 'Patmos' und 'Der Einzige'.
Nach wichtigen Beiträgen zur rhythmischen Frage einzelner Gedichte (beispielsweise von Wolfram Groddeck oder Winfried Menninghaus) bietet Previsic erstmals einen Überblick über Hölderlins Entwicklung – eine Entwicklung, die sich als eine metrische Dekomposition beschreiben läßt. Der Appendix Hölderlins stellt Gesänge gemäß Moritz’ damals aktuellem 'Versuch einer deutschen Prosodie' rhythmisiert dar und zeigt erstmals die metrischen und rhythmischen Muster dieser späten Großformen. Etwa wie sich im Gesang 'Die Wanderung' Erzählposition und rhythmische Struktur gegenläufig verhalten, wie der Rhythmus in 'Germanien' eine hesperische Bewegung vollzieht, wie das Formgesetz in der 'Rheinhymne' rhythmisch nachgebildet wird. Auch editorische Fragen, etwa bei 'Der Einzige', erscheinen durch die metrisch-rhythmische Analyse in neuem Licht.