Pfadfinder und Pioniere werden häufig als Repräsentanten gegensätzlicher Gesellschaftsentwürfe wahrgenommen, wobei das Spektrum der damit verbundenen Selbst- und Fremdzuschreibungen von unpolitisch über demokratisch bis totalitär reicht. Mehr als einhundert Jahre nach Gründung der Pfadfinderbewegung und fast zwanzig Jahre nach Auflösung der Sowjetunion bestimmen noch immer Vorurteile und vorschnelle Vergleiche den Diskurs über einen möglichen Zusammenhang von Pfadfindern und Pionieren. Obgleich die frühe formierende Rolle der Pfadfinder beim Aufbau einer sowjetischen Kinderorganisation bis heute von anderslautenden Wahrheitszuschreibungen verdeckt wird, war die sowjetische Pionierorganisation nicht nur eine Kopie, sondern ein echtes Derivat der russischen Pfadfinderbewegung.
Auf Grundlage von Dokumenten aus russischen Archiven und Bibliotheken wird die bestehende Forschungslücke zu Pfadfindern und Pionieren für den Zeitraum 1908-1924 geschlossen, um die zugrundeliegenden Erziehungspraktiken als Machtverhältnisse im Anschluss an Michel Foucault zu analysieren.