Ein Jahr lang stellte sich Elfriede Czurda der Aufgabe, jeden Tag einen Text zu schreiben, für den es eigentlich nur eine Regel gab: es mussten täglich 12 Zeilen geschrieben werden, 12 sich auf ein Ding, eine Stimmung, eine Erinnerung fokussierende Zeilen. So simpel die Aufgabe klingen mag, das Ergebnis ist beeindruckend: 366 Texte, vielfältig und verschieden wie jeder einzelne Tag im Jahr. Denn was auch immer in den Blick gerät, ist unvermeidlich eingefärbt von Stimmungen – der eigenen und der des Tages –, und diese changierenden Gestimmtheiten zu erfassen und durch Sprache nochmals aufleuchten zu lassen, ist Czurdas große Kunst. Und auch in den mehr als 30 Variationen über den Berliner Schreibtisch, an dem die meisten dieser Mikro-Essays entstanden sind, spricht jede von einem andren Tisch.
Wie bei einem fein drapierten Stoff erst die einzelnen Falten und ihre Schattierungen sein lebendiges Spiel erzeugen, schafft hier die kalendarische Ordnung aus den vielen kleinen Texten einen großen Text: Aus den tagtäglichen Stenogrammen, deren Zeilenkürze dem Format des verwendeten Notizblocks entspringt, entsteht gleichsam eine Art ewiger Kalender, eine Schule der Wahrnehmung des Alltäglichen auf unalltägliche Weise.