Die weltweite Zunahme der Migrationen brachte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ungeahnte Vielfalt heterogener Lebensformen hervor und trug damit zur inneren Differenzierung der (west)europäischen Gesellschaften insbesondere in ihren urbanen Zentren bei. Der neue kulturelle Erfahrungshorizont findet seit den 70er Jahren auch in der deutschsprachigen Literatur seinen Niederschlag, wobei neben der bisher eher im überschaubaren Rahmen stattfindenden Internationalisierung der deutschen und österreichischen Gegenwartsliteratur eine aus der Arbeitsmigration hervorgegangene Literatur zunehmend eine Rolle spielt. Die in ihren Schreibweisen, ästhetischen Ansprüchen und Repräsentationen der eigenen Kultur(en) sehr unterschiedlichen Texte, für die sich in den letzten Jahren in der BRD die Bezeichnung „interkulturelle Literatur“ durchzusetzen scheint, sind Gegenstand eines wachsenden Interesses in der (deutschen und nordamerikanischen) Germanistik, Komparatistik und Interkulturellen Germanistik. Ihre vielfältigen Forschungsansätze bilden den theoretisch-methodischen Rahmen auch dieses Bandes.
Die vorliegende Arbeit untersucht vor diesem Hintergrund bei Barbara Frischmuth, Dzevad Karahasan und Zafer Senocak, drei zeitgenössischen europäischen Schriftstellern, den Diskurs von „Eigenem“ und „Fremdem“ in Prosa und Essayistik und zeigt, wie sich im Laufe der Jahre bei jedem von ihnen die Ideen über Europa im Verhältnis zu Multikulturalität und zivilisationsprägenden Religionen entwickelt haben. Sie geht außerdem der Frage nach, wie die Theorien der Multikulturalität auf das literarische Selbstverständnis der Autoren wirken und wie in ihren Werken Multikulturalität als Thema, Konzept und Gestaltungsprinzip auftritt.