In der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart lässt sich derzeit vermehrt eine Hinwendung zur Thematik historischer Entdeckungsreisen beobachten. Ein Beispiel hierfür ist Thomas Stangls 2004 veröffentlichter Roman Der einzige Ort. Trotz sehr positiver Resonanz in der Literaturkritik ist es um Stangls Buch in der Literaturwissenschaft bisher vergleichsweise ruhig geblieben. Dem sucht die vorliegende quellenkritische Untersuchung entgegenzuwirken. Eine Lektüre im Kontext von Poststrukturalismus und Postkolonialismus zeigt, dass Thomas Stangls Der einzige Ort bis in die Feinstrukturen hinein nach poststrukturalistischen Mustern funktioniert. So lässt sich bereits die erste Seite als rhizomatischer „Konsistenzplan“ im Sinne Deleuzes und Guattaris lesen. Die poststrukturalistischen Bau- und Bewegungsprinzipien wirken sich auch auf die Figurengestaltung aus: An die Stelle von festen, bestimmbaren Identitäten treten prozesshafte Biographien und ständig sich verändernde Identitätszustände. Die poststrukturalistischen Bewegungsprinzipien weisen – so zeigt sich – eine große Affinität zu den Bewegungen des Reisens auf. Über-, Grenz- und Randgänge gehören zu den grundlegenden Konstituenten sowohl des Reisens als auch des poststrukturalistischen Denkens. Die langsame Durchquerung eines Gebietes sowohl in geographischer als auch in philosophischer Hinsicht, die Suche nach blinden Flecken – sowohl auf der Landkarte als auch innerhalb einer etablierten Theorie – verbindet die beiden Bereiche miteinander.