Die vorliegende Untersuchung bestimmt den Begriff ‚Motivierung’ als einen literaturwissenschaftlichen Terminus. Sie zeigt dabei die zahlreichen Aspekte der narrativen Motivierung in ihrem erzähltheoretischen, textlinguistischen und kognitionspsychologischen Kontext auf. Die Arbeit stellt die narrative Motivierung als ein grundlegendes Kriterium für die Analyse mittelalterlicher erzählender Texte heraus. Somit soll die Eigenheit der Gestaltungsprinzipien mittelalterlicher Werke aufgezeigt werden, was wiederum einen Beitrag zu ihrem besseren Verständnis leistet. Um einen möglichst weiten Überblick zu erreichen, analysiert die Arbeit verschiedene Textsorten, wie die Spielmannsepik, Romane, legendenhafte Dichtung, Lais und Tierdichtung. Im Zentrum steht die deutschsprachige Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. Sofern es die Textüberlieferung erlaubt, werden Pendants aus der altfranzösischen Literatur vergleichend herangezogen.

Die Arbeit geht davon aus, dass die narrative Motivierung einen Text konstituiert und ihn als plausibel, als kohärent erscheinen lässt. Sie ordnet die dargestellten Ereignisse in einen kausalen Erklärungszusammenhang ein. Dies geschieht entweder explizit, indem der Text die Ursache-Wirkungs-Verhältnisse benennt (aus Figuren- oder Erzählerperspektive), oder implizit, indem der Rezipient durch seine intellektuelle Leistung das Geschehen in einen Zusammenhang stellt und somit zur Herstellung der Kausalität des Erzählten beiträgt. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung kann, je nach dessen Gestaltung durch den Verfasser, auf verschiedene Weltmodelle bzw. verschiedene Interpretationen des Geschehens in der erzählten Welt, namentlich: empirische oder mythische Modelle, hinweisen. Andererseits wird die narrative Motivierung aufgefasst als ein kompositorischer Aspekt, als ein organisierendes Prinzip auf der strukturellen Ebene (Autorenperspektive); die Handlungslogik ist hier von Interesse. Zu einer Erfassung und Systematisierung sämtlicher Äusserungsformen der narrativen Motivierung verhilft ein detaillierter Katalog der Typen von Motivierungen. Im Zentrum steht vor allem die Frage, ob die Motivierungstechnik von der Textsorte oder von der Entstehungszeit eines Textes abhängt. Die Arbeit erläutert im ersten Teil die zentralen Begriffe und wendet sie im zweiten Teil in der Textanalyse an.