„Der biographische Andersen und Andersens Bild als gemütlicher Kinderbuchautor haben dem Dichter Andersen den Garaus gemacht“, stellt Johan de Mylius in seiner großen Untersuchung „Der Preis der Verwandlung“ fest. Den Dichter will er freilegen, will herausfinden, „durch welche kreativen Kräfte die Texte zu dem werden, was sie sind“. Das bedeutet auch, daß „in diesem Buch eher mit den Texten als gegen sie reflektiert wird“. Dies wurde bislang vernachlässigt, Andersens Märchen wurden vorzugsweise unter dem biographisch-psychologischen bzw. dem Genie-Aspekt gelesen. Johan de Mylius sieht die Märchen hingegen als ästhetisches und existentielles Projekt, das zwar in seiner Zeit gründet, aber in die Zukunft weist und auf unterschiedlichste Art mit allen künstlerischen Konventionen seiner Zeit bricht. Er zeigt, welche Grenzen Andersen sprengt und daß er mit Chaostheorie und Modernismus sozusagen vertraut ist, bevor es die Begriffe gab.
Das Buch ist in fünf große Abschnitte eingeteilt, die jeweils ihren eigenen Zugang zum Verwandlungsmotiv haben: zunächst werden Grundbegriffe für die Andersen-Lektüre vorgestellt („Traumbilder“, „Unbestimmtheit“, „Flucht“, „Schicksalszeichnungen“), die Verwandlung oder gar das Verschwinden der Erzählung entschlüsselt die Vorstellungen vom Todesmoment, von Verwandlung und Wiedergeburt, die Hauptthema des Buches sind. Es folgt der ästhetische Aspekt, wobei de Mylius überraschenderweise das Bilderbuch ohne Bilder zu den Märchen zählt. Der dritte Abschnitt bearbeitet die prämodernistische, der vierte die historische Perspektive, wo der Autor erstmals zeigt, wie Andersen reale Geschichte (= Historie) in eine Geschichte (= Erzählung) verwandelt und wie dadurch die Gattung der Geschichte modifiziert wird. Der fünfte Abschnitt schließlich beleuchtet die religiös-existentielle Perspektive, wo einer der zentralsten Aspekte von Andersens Werk herausgearbeitet wird, das Streben nach Wiedergeburt. Es ist ungemein spannend zu sehen, mit welcher Leidenschaft und Freude Johan de Mylius sein Thema angeht, vielleicht weil oder obwohl eine der wesentlichsten Pointen der Zusammenfall von Verwandlungs- und Todesaugenblick ist, von Vernichtung und Vollendung. Wie beim „Kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzchen“, wo in der physischen Auflösung die Lebensintensität ihren Gipfel erreicht.