‚Inspiration’ wird in diesem Band in zweifachem Sinn verstanden: als die Macht, die den Autor zum Werk befähigt und die sich zugleich in ihm zur Darstellung bringt. Das erste Verständnis schließt an eine ehrwürdige abendländische Tradition an, die im ersten Kapitel dieser Studie rekapituliert wird: von Homer und Plato über das christliche Mittelalter und die Renaissance zu Goethe und Schiller und schließlich zu Wagner und Nietzsche. Die These der Studie lautet, dass Thomas Mann aus der Homosexualität (sowie dem Inzest, allgemein der „verbotenen Liebe“) seine entscheidende Werkinspiration bezieht, die wesentlich in einer Darstellung besteht, deren Absicht gerade auf die Verhüllung jenes Ursprungsimpulses gerichtet ist. Die Verhüllung der Verhüllung oder »zweiten Verhüllung« – gegenüber der »ersten« – ist das Hauptanliegen dieser Untersuchung. »Die zweite Verhüllung« ist insofern ein reines Verfahren der Darstellung. Jedenfalls ist deutlich, dass die Kategorie der ‚zweiten Verhüllung’ darauf abzielt, die ‚Inspiration’ im Sinne eines sich aus dem Unbewussten speisenden Schaffensdrangs aus der rein biographisch-psychologischen Ebene abzulösen und in die Dimension des Textes hinein zu erweitern.