Gentechnologie und Literatur arbeiten beide an der Verwirklichung des ‚homo artificialis’: Die Literatur als Gestalterin virtueller Figuren unseres kulturellen Gedächtnisses, die Gentechnologie mit Visionen von reproduktiver Klonierung. Der Mensch macht sich zum Schöpfer seiner selbst.
Entsprechend lässt sich der literarische Kanon zum ‚künstlichen Menschen’ im 21. Jahrhundert fortschreiben: Motive in den Gentechnologie-Romanen bauen auf Archetypen des ‚künstlichen Menschen’ wie Golem, Homunculus und Frankensteins Geschöpf auf. Die Analyse der Romane führt Aussichtslosigkeit und Konfliktpotential der genetischen Normierung des Menschen vor Augen, etwa am durch künstliches Leben unterbrochenen Konzept der ‚Generation’.
Warum äußern sich etablierte Schriftsteller wie H. M. Enzensberger, Durs Grünbein und Adolf Muschg nichtfiktional in Essays, während Naturwissenschaftler und Journalisten Romane zur Gentechnologie-Thematik schreiben? Dieser paradoxen Beobachtung geht die Arbeit auf den Grund und gelangt zu dem Schluss: Literatur erweist sich in der Gentechnologie-Thematik als Weg der ‚Entschleunigung’. Sie kommt der Visionsbedürftigkeit des Menschen entgegen, bietet eine ganzheitliche Sicht auf die Welt und knüpft – etwa durch ihre metaphorische Sprache – an Vertrautes an. Sie ist somit zugleich Experimentierfeld, um Zukünftiges zu imaginieren, als auch Archiv, um Gegenwart und Vergangenheit weiterzutragen.