Eingehende textlinguistische, rhetorische und pragmatische Analysen einer beträchtlichen Zahl von Heiligenlegenden des englischen Frühmittelalters, vornehmlich derer des Abtes Ælfric, führen zu dem Ergebnis, dass ihnen allen ein einziges, dynamisches und generatives, Textmodell zugrunde liegt, welches das christliche Welt- und Menschenbild ikonisch abbildet: Das Heiligenleben erweist sich als die narrative Form der christlichen Interpretation des neuplatonischen 'exitus-reditus'-Schemas.
Die Bedeutung des Fundes für das Verstehen der angelsächsischen Gesellschaft und die Funktion der solchermaßen fassbaren Legenden als Gebrauchstexte in der Zeit der massivsten politischen Bedrohung Englands durch die Wikinger werden nach allen Richtungen ausgelotet. In einem ersten Schritt werden die intertextuellen Bezüge im engeren Sinne untersucht: Der Verband der volkssprachigen Legenden in den großen Predigtzyklen leistet die eschatologische Anbindung der Heiligen des eigenen Volkes an die römischen Märtyrer und die Könige Israels. Im nächsten Schritt wird die Nutzbarmachung dieser Leistung für die angelsächsische Gesellschaft aufgezeigt, indem das politische, religiöse, kulturelle und soziale Umfeld einschließlich Heiligenkult und -verehrung in die Untersuchung einbezogen werden. Über die Macht- und Netzwerkstrukturen der Benediktinischen Erneuerung sorgt die angelsächsische Kirche mit dem Instrument des Heiligenlebens als des bedeutendsten Bestandteils der Kulte für die Rettung aller Seelen, für ein Identitätsgefühl des angelsächsischen Volkes und für die Legitimation seiner Könige.