Stefan Goldmann stellt Freuds formvollendete Krankengeschichten und die Traumdeutung in gattungs- und wissenschaftsgeschichtliche Traditionslinien des 19. Jahrhunderts. Hermeneutisch erschließt er eine Fülle unbekannter literarischer und fachwissenschaftlicher Quellen, mit denen sich Freud bei der Niederschrift der frühen Krankengeschichten und der Entwicklung seiner Traumtheorie methodisch auseinandersetzte.

Der Autor vergleicht die aus literaturwissenschaftlicher Sicht kaum behandelte Gattungsgeschichte der Krankengeschichte mit der Gattungstheorie der Novelle. Er benennt erstmals jene Novellen, an die Freud bei der Niederschrift der Krankengeschichten von »Elisabeth v. R.« und »Dora« dachte. Die Behandlungsgeschichte des »Kleinen Hans« fügt sich hingegen in eine Tradition, die bis in die Epoche der magnetischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen um 1800 zurückreicht. Die Aufarbeitung der Geschichte der Traumforschung im 19. Jahrhundert fördert die Vorbilder für Freuds Traumdeutung zutage und lenkt die Aufmerksamkeit auf das von Dichtung und Wissenschaft erarbeitete umfangreiche Traumvokabular, das Freud aufgriff, um es systematisch neu auszuprägen. Die aufgezeigte Kontextabhängigkeit der hier untersuchten Werke vertieft unsere Kenntnis von Freud als klassischem Schriftsteller und topisch argumentierendem Denker.