Das altenglische ‚Beowulf’-Epos rettet, sozusagen als ‚Treibgut im Meer der oralen Tradition‘, einen vormals oral tradierten Stoff aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit und bewahrt damit ein Stück heidnischer Volkstradition – paradoxerweise aus der Sichtweise eines christlichen Autors. Zielsetzung der vorliegenden Studie ist es, dieses Unikum der englischen Literaturgeschichte als ‚kulturellen Gedächtnisspeicher‘ wahrzunehmen, der über den Weg der schriftlichen Fixierung das kollektive Gedächtnis einer Erinnerungskultur bewahrt – und mehr noch als das: deren Gedächtnis überhaupt erst stiftet.
Der Zusammenhang zwischen Gedächtnis und (früh-)mittelalterlicher Literatur wird im Rahmen einer erinnerungskulturellen Literaturwissenschaft analysiert. Damit gründet die entworfene Lesart auf dem in den Neueren Literaturwissenschaften diskutierten Nachvollzug der kulturalistischen Wende und versteht sich als paradigmatischer Beitrag einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik.