Beginnend am 3. November 2010 mit dem Gedenken an eine bedeutsame Schlacht, sieht nicht nur ein elitärer Kreis von Historikern mit gespannter Aufmerksamkeit der Ansammlung geschichtsträchtiger Großereignisse aus dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) entgegen. Da jedes einzelne dieser „Events“ auf ein Jubiläum von 250 Jahren zurückblicken kann, werden die damaligen Geschehnisse auch auf öffentliches, von den Medien publizistisch begleitetes Interesse stoßen. Im Falle des Preußen-Königs Friedrich II. stehen überdies die Feierlichkeiten anlässlich der 300-jährigen Wiederkehr seines Geburtstages am 24. Januar 2012 an.
All diesen Begebenheiten aus der Epoche des 18. Jahrhunderts ist gemeinsam, dass ihre Auswirkungen nicht allein auf das Machtgefüge des seinerzeit von einem Kaisertum in Wien regierten „Heiligen Römischen Reiches teutscher Nation“ beschränkt blieben. Ebenso entfalteten Ablauf und Folgen der damaligen Kriegsgeschehnisse ihre dynamische Wirkung auf den Gang der Geschichte in Europa. Zugleich übten sie nachhaltigen Einfluss auf den in Übersee aggressiv auftretenden imperialen Kolonialismus der Europäer aus. Der Krieg bildete die Ausgangsbasis sich neu positionierender Mächtekonstellationen. Mag es sich hierbei vom heutigen Standpunkt aus betrachtet um gesellschaftspolitische Entwicklungsprozesse aus vermeintlich längst entrückter Vergangenheit gehandelt haben, sie sind im guten wie im bösen Sinne historisches Erbe. Damit sind sie als Teil der Wissenskultur einer jeden Generation anzusehen. Auf verschiedenen Wegen, etwa dem Medium zeitgemäßer, allgemein verständlicher Lektüre, eröffnet sich in heutiger Zeit die Chance, der Kultur des Erinnerns die ihr gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Es ist der Grund, weshalb dieses Buch geschrieben wurde.
Sicher wird mancher Leser mit Erstaunen registrieren, dass nicht allein die „Großen“, deren Namen und Rangstellung in den einschlägigen Geschichtswerken wie selbstverständlich aufgeführt sind, am Rad der Historie drehten. Dass es dessen ungeachtet einer Mitwirkung der sogenannten kleinen Leute bedurfte, wenn deren Beteiligung auch zumeist schicksalsergeben auf Repression und Untertanengeist beruhte. Worüber selbstherrlich eine aristokratische Obrigkeit bestimmte, die sich für alle Zeit zur Regentschaft von “Gottes Gnaden“ legitimiert sah.
Keine in die Anonymität spurenlos Entschwundenen verbergen sich hinter all diesen Menschen. Denn zahlreich sind die Beispiele, da sich an Hand zeitgeschichtlicher Dokumente deren Namen, Alter, Geschlecht sowie ihre Stellung in der seinerzeit herrschenden Feudalgesellschaft ermitteln ließen. Zu diesen „auskunftsfreudigen“ Recherchevorlagen zählten etwa Zeitungsmeldungen, Privatbriefe, Tagebücher oder die authentischen Aufzeichnungen einer sächsischen Dorfgemeinde. Wie nicht anders der 1761 verfasste „Unterthänig-gehorsamste Bericht“ eines von rücksichtsloser Soldatenplünderung betroffenen Schlossverwalters.
Schnell stellte sich heraus, dass auf der Suche nach historischen Fakten nicht nur die schriftlichen Fundstücke aus den Stadt-und Staatsarchiven eine ergiebige Quelle abgaben. Ebenso nutzbringend zur näheren Erforschung der vorgegebenen Thematik erwies sich eine Fülle entdeckter Einträge in den Kirchenbüchern beider christlichen Konfessionen. Trauungen, Geburten, Taufen aber auch Beerdigungen, von den jeweiligen geistlichen Herren in ihren Heimatgemeinden chronologisch vermerkt, legten ungeahnte Verknüpfungen mit einer Vielzahl von Kriegsvorkommnissen offen. Ähnlich den Archivalien sind auch sie ein Spiegelbild des Krieges, wie er sich über einen Zeitraum von beinah sieben Jahren in all seinen hässlichen Facetten und unmenschlichen Auswüchsen auf dem Boden des damaligen Kurfürstentums Sachsen austobte.

Den vierjährigen Jubiläumsreigen eröffnet
am 03. November 2010 das 250-jährige Gedenken an die Schlacht bei Torgau von 1760.
Es folgt
am 18. Februar 2011 das Erinnern an den 250. Jahrestag der Plünderung der Hubertusburg 1761 durch
ein preußisches Freibataillon,
am 24. Januar 2012 die 300. Feier anlässlich des Geburtstags von Friedrich d. Großen,
am 15. Februar 2013 der vor 250 Jahren von den Kriegsmächten Österreich, Preußen und Sachsen
erzielte Frieden auf dem Jagd-und Lustschloss Hubertusburg nahe der Stadt Oschatz, und
am 21. Februar 2013 der 250. Jahrestag der Unterzeichnung des Hubertusburg-Vertrages durch Preußens
König Friedrich II. auf Schloss Dahlen.

Formaler Auslöser für dieses Buch-Projekt bildete die Erkenntnis, dass Friedrichs II. 23-Tage-Wohnsitz
auf dem sächsischen Landschloss zu Dahlen in der Geschichtsschreibung bis dato eine Art Mauerblümchen-Dasein fristet. Oft nur einer Fußnote wert. Oder vielfach überhaupt nicht erwähnt. Immerhin ist Schloss Dahlen der Ort, an dem der Monarch am 21. Februar 1763 mit seiner hier geleisteten Unterschrift dem Friedensschluss von Hubertusburg (15. Febr. 1763) preußischerseits seine völkerrechtliche Gültigkeit verlieh. Etwa zeitgleich vollzogen diesen bedeutsamen Staatsakt seine damaligen Feinde. In Wien die Kaiserin Maria Theresia, und auf dem Warschauer Schloss ein Doppel-Monarch: Polens König August III., seines Zeichens auch Kurfürst von Sachsen unter dem Titel Friedrich August II. aus dem Herrschergeschlecht der Wettiner.
Wien, Warschau, Dahlen - drei in Größe und Reputation höchst unterschiedliche Residenzen. Normalerweise verbietet sich ein direkter Vergleich. Und dennoch: in den historischen Momenten der Vertragsunterzeichnung kommt es, mit dieser Metapher darf man es wohl benennen, zwischen den drei Schlössern zu einer kurzen Begegnung auf Augenhöhe.
Friedrichs befristete Einquartierung im Februar/März 1763 auf Schloss Dahlen kann natürlich nicht als ein vom Siebenjährigen Krieg losgelöstes Ereignis betrachtet werden. Sein hiesiger Aufenthalt markiert den Endpunkt dieses Krieges; der König tritt hier gewissermaßen in dessen Schlussphase ein. Exemplarisch herausgegriffene Episoden reflektieren in gebotener Kürze Anlass und Verlauf des Krieges – mit kritischem Blick auf militärische, politische sowie gesellschaftliche Aspekte.
Der entbehrungsreiche Lebensalltag unter Kriegsbedingungen wird dem Leser anschaulich nahegebracht an Beispielen aus der Messemetropole Leipzig. Oder an Begebenheiten, welche dem „Gemayne Buch“ (Gemeindebuch) des drei Kilometer von Dahlen entfernten Dorfes Schmannewitz entnommen sind. Das macht insofern Sinn, als sowohl Dahlen wie Schmannewitz unter der Lehens-und Gerichtshoheit der Grafen von Bünau stehen, den Besitzern des Dahlener Schlosses. Da ein Großteil der Betroffenen in besagtem Gemeindebuch mit Namen aufgeführt ist, verleiht es ihren Handlungsweisen, soweit diese zur Illustration herangezogen werden, eine hohes Maß an Authentizität. Und eindrucksvoll vermitteln alle Beispiele: der Krieg spiegelt sich im Mikrokosmos der Bevölkerung in Stadt und Land.
Das Schannewitzer Gemeindebuch von 1755 bis 1762, diese einzigartige Quelle, wurde den Autoren dankenswerterweise zur Auswertung überlassen. Ein exklusives Nutzungsrecht, denn niemals zuvor war es in die Hände anderer gelangt, weil von seiner Existenz nirgendwo etwas bekannt war. Erst angeregt durch die Buch-Recherche der Autoren war der Leiter des Dahlener Heimatmuseums überraschend darauf gestoßen. Vom Archivstaub zweier Jahrhunderte rundum bedeckt, glückte Hartmut Finger die Entdeckung eines historisch bedeutsamen Dokumentes. Sozusagen ein „Jahrhundertfund“.
Schloss und Rittergut von Dahlen, wo Friedrich II. ab dem 19. Februar 1763 sein Domizil aufschlug, gehörte dem Reichsgrafen Heinrich von Bünau - Staatsmann, Diplomat, Gelehrter. Eine der bekanntesten und verdienstvollsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Doch als Friedrich in dessen Schloss einzog, lebte der Graf nicht mehr. Zehn Monate zuvor war er auf seinem Gut in Oßmannstedt bei Weimar verstorben – an den Folgen preußischer Kerkerbedingungen von März bis August 1761 in Leipzig und Magdeburg. Das Wissen um diese sechs Monate währende Arrestzeit ist heute nicht sehr umfassend. Den Autoren gelang es durch zwei Brieffunde, sowie durch die Auswertung der „Leipziger Zeitungen“ von 1761, bisher nicht bekannten Umständen seiner Einkerkerung auf die Spur zu kommen. Die gewonnenen Erkenntnisse dürften geeignet sein, die „Bünau-Forschung“ um ein paar neue Details zu bereichern.
Auch ließ sich einiges über dessen Witwe herausfinden. Bisher war man allgemein davon ausgegangen, die Gräfin Bünau hätte ihren Aufenthalt nach dem Tod ihres Mannes in Dresden genommen. Von ihr eigenhändig verfasste Briefe geben indes als Adresse Weimar an, wo sie noch am 27. Juni 1763 gewohnt hat. Von Weimar aus schreibt sie an diesem Tag ihrem Gutspächter, ehe sie nach Nöthnitz (auf das Stammschloss ihrer Familie) zurückkehre, wolle sie sich noch für einige Zeit nach Dahlen begeben.
Eine der folgenreichsten wie auch spektakulärsten Aktionen des ganzen Krieges startete am 18. Januar 1761; es war der fulminante Auftakt der von Friedrich II. befohlenen Plünderung des nahe bei Dahlen gelegenen Jagdschlosses Hubertusburg in Wermsdorf. Unter Berufung auf einen mehrseitig verfassten Rapport eines in Bezug Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhabenen Kronzeugen, wird man vermutlich nicht um die Frage herumkommen, ob die bisherige offiziöse Berichterstattung zum Geschehen auf Hubertusburg in mancher Hinsicht einer Korrektur bedürfe. Die Schilderungen dieses Mannes, der die ganzen Wirren auf dem Schloss hautnah miterlebte, führen zu völlig neuen Einsichten über die dramatischen Abläufe der 16 Wochen währenden Plünderung und die darin involvierten Akteure.
Schließlich griffen die Autoren auf die Möglichkeit zurück, ihre Recherchen auf Leipziger und Magdeburger Zeitungen jener Zeit auszuweiten. Deren Nutzung für das Thema erwies sich ebenso als große Bereicherung, wie gleichfalls das Forschen im „Ausgabenbuch über Ausgaben für die Besatzung in der Pleißenburg 1746 bis 1763“ aus dem Stadtarchiv in Leipzig.
Letztendlich stand im Focus der Untersuchungen das Hochgräflich Bünauische Schloss zu Dahlen. Eines einstigen Kleinods im Barockstil, welches im Jahr 1973 durch ein Feuer zerstört wurde und sich seither im Zustand einer ausgebrannten, aber inzwischen begehbaren Ruine präsentiert. Eine Motivbesichtigung vor Ort förderte bezüglich des Königs Quartiernahme in zwei eher schlichten Schlossgemächern einige nicht für möglich gehaltene Überraschungen zu Tage. Aufschlussreiche Einzelheiten über die „Chefetage“ des berühmten Preußen-Herrschers, von welcher aus er 23 Tage lang sein fernes Königreich regierte, kann der/die Geschichtsinteressierte aus dem Buch erfahren. Oder aber im Rahmen einer Führung vom Keller bis zur Beletage, die der 2009 gegründete „Schloss-und Parkverein Dahlen e.V.“ ganzjährig offeriert.
Versuchten sich die beiden Buchautoren an einem konventionellen Sujet, eine Erzählweise mit amüsantem Einschlag gestanden sie sich dennoch zu. Eine erstaunliche Wirklichkeit lieferte ihnen hierfür ausreichend Anlässe. Dank launiger, wenn auch meistenteils unfreiwillig komischer Einlagen. Angefangen vom preußischen König bis hin zum sächsischen Schlossverwalter. Oder einem Obrist Wachtmeister bei den fränkischen Reichstruppen: Christoph Philipp Freiherr von und zu Guttenberg (1723-1790). Urahn eines prominenten Politikers unserer Tage. Die Beweise sprechen für sich: Historie ist weder langweilig noch humorlos.