Kaum einer Region wird eine solch starke Wirkungsmächtigkeit historischer Erinnerungen zugeschrieben wie dem Balkan. Als das sozialistische Jugoslawien in den 1990er Jahren in Kriegen zerbrach, war vor allem für westliche Beobachter schnell klar, dass die nicht verarbeiteten, unter Tito unterdrückten Erinnerungen an den jugoslawischen Bürgerkrieg während des Zweiten Weltkrieges eine der Hauptrollen im Gewalteskalationsprozess der 90er Jahre spielten. Zwar klingt diese Annahme einleuchtend – wirklich nachgeprüft hat dies aber bislang niemand. Welche Rolle spielten also die offiziell gewünschten oder die tabuisierten, die in den Regionen und Institutionen Jugoslawiens auf vielfältige Weise kommunizierten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg auf jugoslawischem Boden in Bezug auf den Zerfall dieses Staates? Wie wurde der bis heute am heftigsten umkämpfte Erinnerungsort, das ehemalige Konzentrationslager Jasenovac, im sozialistischen Jugoslawien erinnert? Und in welchem Spannungsverhältnis standen lokale, republikanische und gesamtstaatliche Erinnerungen an die Vergangenheit des „Volksbefreiungskrieges“?
Auf der Suche nach Antworten unternimmt Heike Karge eine ausgedehnte historische Reise in die Praktiken der Kriegserinnerung im sozialistischen Jugoslawien, wobei dem jugoslawischen Kriegsveteranenbund als Hauptakteur der Kriegserinnerung besonderes Augenmerk zuteil wird.