In dieser wissenschaftlichen Monografie wird die innovative These vertreten, dass Kleist in seinen Erzählungen, die allesamt von mythologisch-realistischer Prägung sind, einen nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit waltenden Christengott gestaltet, der mitunter in Form der Wiederkehr des Gottessohnes im Irdischen interveniert, um einen abermaligen Erlösungsversuch einer nach wie vor erlösungsbedürftigen Menschheit zu unternehmen, einen, der einer unüberwindlichen Verderbtheit des Adressaten wegen unweigerlich zu misslingen. Unter Erlösung versteht Kleist die Rückkehr in die Zeit des Nicht-Bewusstseins, die sinnbildliche Rückgabe der einst verführerischen Frucht an den 'Baum der Erkenntnis', von der in der 1810 in den „Berliner Abendblättern“ veröffentlichten theologisch-philosophischen Schrift „Über das Marionettentheater“ die Rede ist, also die Wiederherstellung des paradiesischen Urzustandes in einem psychologischen Sinn, womit paradoxalerweise die Überwindung einer menschlichen Verderbtheit einherzugehen hätte, die man bereits mit dem Sündenfall als symptomatisch in Erscheinung tretend zu werten hat. Demnach kommt dem Sündenfall eine die sittliche Verfasstheit des Menschen kennzeichnende Bedeutung zu. Die Erkenntnissphäre, das Bewusstsein, wird zur Erbsünde, die dem post-paradiesischen Menschen aufgrund der nunmehrigen rationalen Zugänglichkeit des Guten und Bösen eine unbehelligte Lebensführung, eine unreflektierte Seins-Existenz unmöglich macht, und zudem die Möglichkeit zu geplanter List und Tücke erst bereitstellt.