Der hier erstmals aus dem Nachlass veröffentlichte Lebensbericht „Geschichte meines Vaters“ (1945/46) ist das letzte und zugleich das eigenartigste Erzählwerk des allmählich wiederentdeckten mährischen Schriftstellers Ludwig Winder (1889–1946). Ins englische Exil gezwungen und bereits vom Tod gezeichnet, kehrt der Dichter hier geistig noch einmal heim in das Land seiner Herkunft und beschreibt in schmerzlicher Erinnerungsarbeit die leidvolle Jugendgeschichte seines Vaters Maximilian Winder von dessen repressiver Ghettokindheit über befreiende Studienjahre in Prag bis zum Antritt der ersten Lehrerstelle. Im Heraufbeschwören dieser längst vergangenen, ‚zertrümmerten‘ Welt gelang Ludwig Winder nicht nur eine persönliche Annäherung an den einst fern und fremd empfundenen Vater, sondern zugleich auch die kulturhistorisch aufschlußreiche Analyse eines in vieler Hinsicht exemplarischen jüdischen Lebens im 19. Jahrhundert. Nicht zuletzt ist die „Geschichte meines Vaters“ von besonderem Interesse durch fundamentale Parallelen zu dem berühmten Ghetto-Roman „Die jüdische Orgel“ (1922), die den biographischen Hintergrund dieser tragischen Chronik eines jüdischen Außenseiterschicksals erkennen lassen. Winders Hoffnung, durch das Niederschreiben der „Geschichte meines Vaters“ „zu einer Deutung seines Lebens – und vielleicht nicht seines Lebens allein – zu gelangen“, hat sich so gleich in mehrfacher Weise erfüllt.