In der Folge von Ringvorlesungen wurden an der Universität Flensburg im Wintersemester 2005/06 zum Thema Märchenfiguren in der Literatur des Nord- und Ostseeraumes vierzehn Einzelvorlesungen gehalten. Der Reiz des Themas liegt in der Verbindung von Regionalbezug und jenem komparatistischen Horizont, der für die aktuelle Märchenforschung bestimmend und durch Grundlagenwerke vergleichender Motivforschung vorzüglich fundiert ist: was in der Region mündlich erzählt wurde, hatte meist einen langen Traditionsweg zurückgelegt. Während diese Wege für die Buchmärchen relativ klar und vielfach dargestellt sind, ist immer noch klärungsbedürftig, wie sie für die orale Tradition verliefen.
Diese Probleme der Märchenforschung werden in der Konzentration auf einzelne Figuren exemplarisch konkretisiert. Wie und wann sind sie im Märchen aus abgesunkenen Mythen und zersungenen Heldenepen, aus der Unterhaltungsliteratur und mündlichen Schwankerzählungen eine spezifische Verbindung eingegangen? Wie werden sie in bestimmten Regionen erzählt? Die Oikotypik der verfestigten Erzählungen sollte komplementär zur Ubiquität der Stoffe und Motive erforscht werden. Zu erwarten wäre ein hoher Erkenntniswert für die Geschichte und Identitätsbildung kulturgeographischer oder ethnisch-historischer Entitäten sowie für die je spezifischen Bedingungen von Kulturwandel durch Kulturtransfer.