Hermann Broch wurde bisher hauptsächlich interpretiert als Autor, der
besonders mit seiner Romantrilogie ›Die Schlafwandler‹ philosophische
Thesen über einen historischen Wertezerfall exemplifizieren wollte. Diese
Thesen wurden sogar als das deduktive Zentrum des Romans interpretiert,
da sie in den romaneigenen Essay selbst eingelassen wurden. In der
Tat werden diese Thesen durch das Romangeschehen illustriert. In der
vorliegenden Untersuchung wird Broch aber als Autor gezeigt, der diese
philosophischen Thesen einer Erzähler- und Essayistenfigur zuordnet,
deren psychische Fixierungen induktiv und intertextuell sehr deutlich
entlarvt werden. Um die Unglaubwürdigkeit dieses Erzählers deutlich zu
machen und den Primat des Philosophischen auszuhebeln, verwendet
Broch Analysen und Krankengeschichten aus der frühen Psychoanalyse.
Auch die Poetik und das Verhältnis zum Lesenden tragen psychoanalytische
Züge, wobei der Schreibende mit den Eigenschaften eines Taschenspielers
ausgestattet wird, dessen Spielzüge sehr genau zu verfolgen sind.
So erhält das Bild vom ›philosophischen Autor‹ Broch, das sicher zum Teil
berechtigt ist, Ergänzung durch den ›psychoanalytischen Autor‹ sowie
durch den ›spielenden Literaten‹ Broch, der den Lesenden in ein sehr
ernstzunehmendes Selbsterkenntnisspiel zieht.