Der zentrale Vergleichsgegenstand bei Bernsteins Untersuchung der Lyrik von Ernst Jandl (1925- 2000) aus Österreich und Nicanor Parra (*1914) aus Chile ist deren Verwendung von Phraseologismen, d.h. von festen Mehrwortverbindungen mit gradueller semantischer Transformierung. Durch kontextuelle Verfremdung, Erweiterung oder Remotivierung modifi zieren Parra und Jandl gängiges phraseologisches Sprachmaterial wie Redewendungen und Sprichwörter. Bernstein stellt dabei sieben Funktionshypothesen von Phraseologismen in Lyrik auf, die sich von den beiden Vergleichsautoren abstrahierend auch auf weitere Vertreter moderner Lyrik anwenden lassen. Darunter fallen Wirkungs- und Verwendungsweisen wie die Themenentfaltung, die Annäherung an Alltagssprache, der Appell zu Sprachsensibilisierung, der spezifi - sche Gebrauch von Biblismen, die Evokation von Komik und die Phraseologisierungsfähigkeit. Zudem eignen sich die Gedichte Jandls und Parras durch den gehäuften Phraseologismengebrauch zur exemplarischen Diskussion von Poetizitätskonzepten moderner Lyrik mit ihrer Tendenz zur Abweichung von lyrischen Konventionen.