Das Bild uniform gekleideter Menschenmassen prägt bis heute die Erinnerung an die chinesische Kulturrevolution (1966–1976). Diese Uniformierung wird gern als Zeichen politischer Unterdrückung interpretiert. Tatsächlich sind formelle wie auch informelle Uniformierungen jedoch auch in modernen Industriegesellschaften eine häufige Erscheinungsform des Spannungsfelds von Zugehörigkeit und Abgrenzung im Rahmen widerstreitender Identitätskonstruktionen. Welche Ziele verfolgte Uniformierung in der Kulturrevolution? War die uniforme Kleidung „von oben“ verordnet oder entstand sie als Mode „von unten“? War sie Folge wirtschaftlicher Notwendigkeiten oder politischen Kalküls?
Iris Hopfs Untersuchung zum Zusammenhang von Schnitttechnik und Ideologie in China führt in die wirtschaftlichen und technischen Grundlagen der kulturrevolutionären Kleidungsfertigung ein und zeichnet die Geschichte der chinesischen Kleidung seit der Wende zum 20. Jahrhundert im Kontext der kulturellen und politischen Entwicklungen nach. Anhand kulturrevolutionärer Schnittbücher wird untersucht, welche Techniken in den 1960er und 1970er Jahren für die Erstellung der Schnitte und die Fertigung der Kleidungsstücke verwendet wurden. Ein Abgleich der Schnittmuster mit Darstellungen bekleideter Körper auf Propagandapostern und -fotografien offenbart, welche Kleidungsformen welche ideologischen Inhalte implizierten und visuell transportierten. Hopf macht mit ihrer Analyse deutlich, dass die Interpretation von Uniformierung als Zeichen politischer Unterdrückung zu kurz greift und dass Ursachen und Ausdrucksformen uniformer Kleidung in der chinesischen Kulturrevolution vielmehr komplex und uneinheitlich waren.