Zwischen 1890 und 1910 wandelt sich die Vorstellung von der ,Natur‘ des Menschen bei führenden Vertretern der deutschsprachigen Literatur auf signifikante Weise. Wolfgang Riedel zeigt, daß mit der Hinwendung zur ,Triebnatur‘ des Menschen, zum Körper und zum Sexus um 1900 ein „Paradigmawechsel in der literarischen Anthropologie“ stattgefunden hat. Seither ist Literatur in hohem Maße ein Diskurs über Sexualität.

Riedel weist nach, daß nicht erst Freuds Psychoanalyse, sondern bereits Schopenhauers metaphysische und anthropologische „Achsendrehung im Begriff des Menschen“ (G. Simmel) sowie die Biologie als neue Wissenschaft die Wandlung in der literarischen Anthropologie vorbereitet haben. Der Autor rekonstruiert diesen „Paradigmawechsel“ und schafft damit neue Grundlagen für die Literaturgeschichte der Jahrhundertwende.

Den Ausgangspunkt bildet eine von Schopenhauer ausgehende Neuinterpretation von Hofmannsthals „Chandos-Brief“. Exemplarische Interpretationen zu Wedekind, Schnitzler, Bölsche, Hauptmann und Rilke, die in ihrem Werk die (biologische) Triebnatur des Menschen poetisch thematisieren, beschließen diese grundlegende Studie.