Gegenstand der Untersuchung ist die Novelle als nur scheinbar allzu bekanntes »Haustier« (Theodor Mundt) der deutschen Literatur, deren Poetologie im Kontext einer wieder in den Fokus des Forschungsinteresses gerückten Gattungspoetik eine Neubewertung erfährt. An den literarhistorischen Umbruchszeiten um 1800 und um 1900 wird gezeigt, wie die Novelle im ästhetischen Einspruch gegen normative Verfestigungen einer sich etablierenden Gattungspoetik die Möglichkeiten eines alternativen, gleichsam experimentellen Erzählens auslotet.

Während sie sich um 1800 als randständige, noch unbestimmte Form vor allem gegen die Ordnungsstrategien des Romans wendet, hat sich die Novelle um 1900 zur am stärksten regulierten Erzählgattung entwickelt. Zu beiden Zeiten entfaltet sie gleichermaßen das Störpotential eines anderen, unzeitgemäßen Erzählens, wodurch sie zum Refl exionsraum aktuellster semiotischer, medialer und poetologischer Fragen avanciert.

Es zeigt sich, dass auch und gerade die in der Forschung als kanonische Vertreter der Gattung gehandelten Texte einem anderen Erzählen verpflichtet sind, das einen Kern novellistischer Poetologie und eine Triebfeder literarischer Innovation darstellt.