In der Erzählliteratur um 1900 tummeln sich an den Gestaden der See kecke Töchter, mutige Freiheitskämpfer, philosophierende Senatoren, lebensferne Knaben, verirrte Bürger, heimgesuchte Reisende, einsame Paare, enttäuschte Adlige und schillernde Geheimräte – zumindest, wenn die Schriftsteller Thomas Mann und Eduard von Keyserling heißen. Was eint die Stranderfahrungen all dieser Figuren? Wieso erweist sich der Badeurlaub für manche nicht nur als schön, sondern auch als gefährlich? Wohin führt der Ausflug an die unbegrenzte Wasserwüste in Wirklichkeit? Kristy Husz untersucht am Beispiel vier ausgewählter Werke Manns und Keyserlings, welche Bedeutung das Meer in der Dichtung der Jahrhundertwende annimmt. Scheinbar wird der blaue Naturraum in Buddenbrooks, Tonio Kröger, Der Tod in Venedig und Wellen zunächst von beiden Autoren mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen, werden das Meer und der Begriff des Meeres vielfältig gebraucht und zunutze gemacht. Doch im Verlauf der Analyse treten Muster zutage, die Perspektiven, Bilder und Symbole beginnen, sich zu berühren und zu überschneiden. Die Fluten des Meeres erweisen sich, im Einklang mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, als Botschafter des Unbewussten, der Sehnsucht, der Erlösung und der Wesenseinheit von Leben und Tod.