Nicolaus Cusanus (1401-1464) konzipiert menschliche Erkenntnis als kreative, asymptotische Assimilation: Auf kreative Weise verähnlichen sich Menschen in Erkenntnisprozessen Denkunabhängigem, ohne diesen Verähnlichungsprozess je zum Abschluss bringen zu können. Obwohl menschliche Erkenntnis als kreativ charakterisiert wird, verliert sie nicht die Welthaftung. Obwohl sie asymptotisch verläuft, führt sie nicht zu Pessimismus und einem Ablassen von Erkenntnisbemühungen überhaupt. Cusanus macht die beiden Kernaspekte seines Modells menschlicher Erkenntnis trotz einiger systematischer Unschärfen im Rahmen eines maßvollen Erkenntnisoptimismus kompatibel.

Die vorliegende Monographie befasst sich mit diesem Modell in zwei Hinsichten. Zunächst wird seine systematische Gestalt über das cusanische Oeuvre hinweg untersucht. Die zu diesem Zweck herangezogenen Werke sind De docta ignorantia, De coniecturis, Idiota de mente, De beryllo und das Compendium. Im Anschluss werden dann zentrale epistemologische Anfragen eingehender betrachtet und historisch kontextualisiert: Cusanus‘ Intellektverständnis, seine Stellung zu species-Theorien von Erkenntnis, seine Wahrheitsauffassung und sein Modell menschlichen Weltbezugs. Vergleiche mit den Positionen von Aristoteles und Augustinus, Thomas von Aquin und Dietrich von Freiberg, Anselm von Canterbury sowie John McDowell machen dabei sowohl die Eigenheiten von Cusanus als auch seine Verhaftung in der epistemologischen Tradition sichtbar.