Der vorliegende Sammelband über Bindungstheorie ist nicht einfach ein weiteres Buch zum Thema, sondern dokumentiert ein erweitertes Verständnis und eine andere Perspektive in der allgemein üblichen Darstellung der Bindungstheorie. Konkret geht es um das Dynamische Reifungsmodell der Bindung und Anpassung von Patricia McKinsey Crittenden, die als ehemalige Schülerin von Mary Ainsworth eine eigenständige Sichtweise von Bindung entwickelt hat. Diese ist mittlerweile in vielen Ländern Europas aufgenommen worden und findet gerade wegen ihrer Brauchbarkeit im klinischen Bereich auch bei Psychoanalytikern und Psychotherapeuten unterschiedlicher Schulen (z.B. Peter Fonagy in England oder Bernie Brandchaft in den USA) seit einigen Jahren mehr Beachtung als die klassische Bindungstheorie, die sich im psychopathologischen Bereich nur auf ein Bindungsmuster (desorganisiert bzw. unverarbeitetes Trauma) bezieht. Crittenden berücksichtigt in ihrem Modell der Bindungsentwicklung deren Abhängigkeit von neurophysiologisch und entwicklungspsychologisch sich stetig verändernden kontextabhängigen Voraussetzungen und definiert als wesentliche Grundlage der Suche von Bindung kulturübergreifend den Schutz vor Gefahr.

In zehn Kapiteln werden die Grundzüge des Bindungsmodells von Crittenden von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter dargestellt und die altersspezifischen diagnostischen Methoden sowie neurobiologischen Zusammenhänge erläutert. Ergänzend werden Fragen zur Beurteilung von Kindeswohlgefährdung beantwortet sowie Auswirkungen von Pflege-, Adoptiv- und Ersatzelternschaft auf die Bindungsentwicklung diskutiert. Die differenzierte Bindungstypisierung kommt beispielhaft in einem abschließenden Kapitel über antisoziale Persönlichkeiten zum Ausdruck. Damit gelingt diesem Buch ein neuer, ungewohnter und faszinierender Blick auf die Entwicklung von Bindung und deren Diagnostik, durch den sicherlich viele Forschungsfragen und theoretisch-konzeptionelle Überlegungen angeregt werden.
(Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hans-Peter Hartmann)

Mit Beiträgen von Patricia Crittenden, Steve Farnfield, Kasia Kozlowska, Andrea Landini, Nicole Letourneau, Wolfgang Milch, Peder Nørbech, Hellgard Rauh, Nicola Sahhar, Martin Stokowy, Lane Strathearn, Penny Tryphonopoulos, Ulrike Zach und einem Vorwort von Michael Buchholz