Ist die Identitätsbildung ohne das Erinnerungsvermögen undenkbar? Wird Identität durch Erinnerung konstruiert? Heißt Erinnerung nicht einfach Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern bewusste Konstruktion? Wie werden individuelle und kollektive Erinnerungen in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Räumen gestaltet? Aus verschiedenen Positionen und Perspektiven werden in Erzähltexten diese und ähnliche Fragen behandelt und anhand konkreter Beispiele erörtert. Erzähltexte können bestimmte Gedächtnis-Konstellationen abbilden und sie in ihrer spezifischen Wirkungs weise bejahen und unterstützen. Sie können aber auch subversiv wirken und sowohl hegemoniale Erinnerungen als auch überkommene Wirklichkeits- und Vergangenheitsversionen in Frage stellen.

Die Beiträge zu diesem Band untersuchen den komplexen Zusammenhang zwischen Erinnern und Identität in Erzähltexten aus verschiedenen soziokulturellen Kontexten. Die Studien zeigen die Konstruktivität von Erinnerungen, die Pluralität von Vergangenheits- und Identitätskonstruktionen, sowie ihre Abhängigkeit von einem kultur- und epochenspezifischen Hintergrund. Obwohl der Transnationalität von Erinnerungen Rechnung getragen wird, eröffnen die Beiträge Einsichten in Themen, Einstellungen, Mentalitäten, Erwartungen und Wertvorstellungen von unterschiedlichen Erinnerungshorizonten, die zum Kulturvergleich und zur Reflexion der eigenen und der fremden Perspektive führen.