Die Literatur über Japanische Kampfkünste in Deutscher Sprache ist nicht sehr reichhaltig. Die Kampfkunst Aikido wurde bei uns ja erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt. Hinzu kommt, dass man Kampfkunst erfahren muss. Sie lässt sich nicht erlesen. Viele, die inzwischen diese „Erfahrung“ wagen und Kampfkunst praktizieren, merken bald, dass über die sportliche Betätigung hinaus der Einfluss auf Geist und Verhalten spürbar wird. Der Bill-Verlag kommt dieser Erfahrung nach und präsentiert nun ein Büchlein von Gozo Shioda in deutscher Übersetzung von Stephan Otto. Gozo Shioda (1915 – 1994) gehörte zu den besten Schülern von Morihei Ueshiba. Er gründete 1955 die Stilrichtung Yoshinkan und ist der hervorragendste Repräsentant dieser härteren Stilrichtung. So, wie Morihei Ueshiba vor dem Zweiten Weltkrieg gelehrt hat. Das Buch „Aikido Shugyo“ wurde 1991 in Japan veröffentlicht. 2002 erschien eine Englische Übersetzung. Die japanische Ausgabe diente der deutschen Übersetzung als Vorlage. Gozo Shioda analysiert mit der ihm eigenen Akribie und scharfen Beobachtungsgabe überraschende Situationen der Strasse und im Dojo. Daraus leitet er die für ihn wichtigen Prinzipien des Aikido ab. So kommt es bei einem Abwehrschlag nicht so sehr auf die Kraft an, mit der der Schlag ausgeführt wird, sondern in hohem Maße auf den richtigen Zeitpunkt der Reaktion auf diesen Angriff. Besonders spannend sind die Situationen, wo er gezwungen oder willentlich gegen Experten anderer Kampfkünste oder Sportarten antreten muss. Hierbei wird deutlich, dass vorgefertigte, das heißt erlernte Konzepte, nicht erfolgreich sein können.

Vielmehr geht es darum, die Absicht des Gegners zu erahnen, zu spüren, und augenblicklich eine geeignete Strategie umzusetzen. Dem Instinkt folgend, würde man einem Messerangriff versuchen, durch Rückzug zu entgehen. Richtig ist, in den Angriff hinein zu gehen, um den Schwung des Angreifers im richtigen Zeitpunkt gegen ihn nutzen zu können. Der Kraft aus der Mitte und der Konzentration der Kraft widmet er mehrere Kapitel. Dieses Prinzip ist von weitreichender Bedeutung für alle Aikido Techniken. Die Auseinandersetzung mit Morihei Ueshibas didaktischen Methoden („Lerne es und vergiss es“) führte ganz offensichtlich zu der Überzeugung, den Aufbau des Lehrsystem zu systematisieren, damit Anfänger und Schüler besser an die Grundprinzipien herangeführt werden. Die Begegnungen mit weiteren Kampfkünsten wie Judo, Karate und Kendo zeigen immer wieder die Universalität von Aikido. In den letzten Kapiteln nähert er sich philosophischen Themen aus der Sicht seines Budo-Verständnisses und dem Spannungsfeld seiner Beobachtungen und Erfahrungen, die Morihei Ueshiba ihm mitgegeben hat. Das landläufige Missverständnis des Harmoniebegriffs wird geklärt und die Integration ins tägliche Leben erläutert. Die Übersetzung ist hervorragend gelungen. Sie liest sich flüssig und vermeidet schwierige japanische Satzkonstruktionen. Die unvermeidlichen japanischen Begriffe sind im Glossar zusammengefasst und sinnfällig erklärt. Das Buch ist sehr gut ausgestattet, das Format passt in jede Jackentasche. Der rote Einmerkfaden lädt ein, inne zu halten, um über das gerade Gelesene erst einmal nach zu denken.