Vom Anfang des sechzehnten bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts dominiert in der transalpinen europäischen Literatur – und besonders in der deutschsprachigen – ein erotisch aufgeladenes, scheinhaft – dekadentes Venedig, das in Thomas Manns Der Tod in Venedig (1911) ikonenhaft zum Ausdruck gekommen ist. Die Faszination, die auch während des zwanzigsten Jahrhunderts von diesem Bild ausgegangen ist und bis heute anhält, hat den Blick der Forschung auf Entstehung und Entwicklung eines ganz anders gearteten Venedigbilds weitgehend verstellt. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen ihn freizulegen. In ihr soll, chronologisch vorgehend, anschaulich werden, dass und wie Venedig in der deutschen Literatur der letzten hundert Jahre, besonders zu Krisenzeiten und in merkwürdigem Gegensatz zu seiner tatsächlichen ‘musealen’ Existenz, zu einem privilegierten Ort alternativer utopischer Entwürfe geworden ist. Es entsteht so ein facettenreicher Spiegel deutscher geistig-kultureller Befindlichkeit im zwanzigsten Jahrhundert. Dass sich zudem unter utopischem Blickwinkel bei den Einzelanalysen oft überraschende neue Einblicke in das literarische Schaffen der betreffenden Autoren ergeben, ist ein keineswegs nur zufälliger, wichtiger zusätzlicher Gewinn.