Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Erforschung der Kindheit im Mittelalter leisten. Anhand ausgewählter Stellen aus dem ersten sowie dem dritten Buch des mittelhochdeutschen Passionals (Verslegendar, um 1300) wird untersucht, welches Wissen über, welche Deutungsmuster und Vorstellungen von, welche Werte, Normen und Einstellungen in Bezug auf Kindheit einander in der idealen Rezeption dieser Texte durchdringen und durchkreuzen und somit ein spezifisches Set von ‚Möglichkeiten, Kindheit zu denken’, bilden. Dies geschieht mit Hilfe eines detaillierten Analyseinstrumentariums, das im ersten Teil der Arbeit entwickelt und – basierend auf einer Verknüpfung kultur-, literatur- und kognitionswissenschaftlicher Ansätze – theoretisch fundiert wird. Die Textanalysen im zweiten Teil der Arbeit zeigen immer wieder, dass gerade Werten, die dem ‚weltlichen’ Bereich der Textwelt zugeordnet sind, in der idealen Rezeption der eigentlich ‚geistlich‘ geprägten Texte unerwartet große Bedeutung beigemessen wird. Auf dieser Basis lässt sich schließlich nach einem Zusammenhang zwischen der idealen Rezeption des Passionals und seiner historisch-realen Rezeption im Deutschen Orden fragen.