Gerhard Rühms Text „hugo wolf und drei grazien, letzter akt“ ist als performatives Bühnenstück wie auch als radiophoner Text im Sinne der „Konkreten Poesie“ konzipiert. Jede der fünf auftretenden Personen spricht ausschließlich Wörter auf einen der Vokale u, o, a, e, i. Der Komponist Hugo Wolf (u, o), dem unter Bezugnahme auf seine, von einer frühen Syphilisinfektion herrührende, bewusstseinsspaltende Erkrankung
eine Doppelrolle zugewiesen wird, hatte drei intensive Liebesbeziehungen. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass in den Vornamen der Frauen (Valy, Frieda, Melanie) jeweils zu Beginn die Vokale a, i, e aufscheinen.
Wie aus dem Titelzusatz „letzter akt“ ersichtlich, konzentriert sich der Text auf Wolfs letzte Lebensphase, die einerseits von Wahnvorstellungen, andererseits von zunehmender körperlich-geistiger Erstarrung bestimmt war. Das Erscheinen der „grazien“ (a, i, e!) lässt sich so in diesem Kontext als halluzinative Projektion Wolfs interpretieren, während die progressive Reduktion und semantische Verwischung des Wortbestandes in seiner zunehmenden akkordischen Überlagerung als modellhafter Prozess allmählichen mentalen Versiegens gedeutet werden kann: Gesagtes verliert sich in reinem Klang.