Jede Übersetzung stellt eine Herausforderung an den jeweiligen Übersetzer dar, doch ist diese ungleich größer, wenn es sich um Lyrik handelt. Diese zeichnet sich ja gerade durch ein ‚uneigentliches‘ Sprechen und einen hohen Grad an Ambiguität aus. Außerdem muss Lyrik schon aus textökonomischen Gründen Sprache maximal artifiziell verwenden, und sie betont in der Regel die klangliche Dimension.
Dennoch wird und wurde sie zu allen Zeiten in andere Sprachen übertragen, und zwar sowohl von Dichtern als auch professionellen Übersetzern.
Die Beiträge des vorliegenden zweisprachigen Bandes (deutsch-französisch) thematisieren diese diversen Fragestellungen für Dichtungen in vielen, überwiegend romanischen Sprachen aus den unterschiedlichsten Epochen. Dies gestattet eine doppelte historische Perspektive: Die Entwicklung der Übersetzung von Lyrik – auch in ihrer Bedeutung für die Herausbildung von Nationalliteraturen – wird ebenso untersucht wie die aktuellen deutschen Versionen von Klassikern der Renaissance (Camões, Ronsard) bis zur Moderne (Zanzotto). Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit der Hermetik einzelner Texte sowie den spezifischen Schwierigkeiten bestimmter Idiome oder den Partikularitäten durchkomponierter Sammlungen wie Petrarcas Canzoniere. Als sinnvoll erweist sich in verschiedener Hinsicht das Konzept eines ‚Raumes‘ der Übersetzung – sei es als theoretische Grundlage, sei es ganz pragmatisch bei der Untersuchung der paratextuellen Komponente zwei- oder mehrsprachiger Anthologien. Dies gilt ebenfalls für eine Besonderheit des Bandes, nämlich die Untersuchung von Lyrik-Übertragungen und dem mit ihnen verbundenen Gattungstransfer, durch die es gelingt, den traditionellen Übersetzungsbegriff um eine bislang wenig beachtete Dimensionen zu erweitern.